Was bedeutet die Alarmstufe?

Noch dürfen Versorger ihre Gastarife nicht einfach anheben
Berlin -Seit vergangener Woche pumpt Russland deutlich weniger Gas nach Deutschland als eigentlich vereinbart - was die Befüllung der Gasspeicher für den Winter schwieriger macht. Die ohnehin schon hohen Preise im Großhandel sind seitdem noch mal deutlich gestiegen. Gründe genug für die Bundesregierung, am Donnerstag die Alarmstufe - die zweite von drei Krisenstufen des Notfallplans Gas - auszurufen.
Welche Folgen hat die Ausrufung der Alarmstufe?
Direkt und unmittelbar hat die Ausrufung keine Auswirkungen auf die Versorgung: Haushaltskunden können weiterhin mit Erdgas kochen, Gas-Heizungen können weiterhin Wasser erwärmen. Heizen spielt in den warmen Monaten keine Rolle. "Die Gasversorgung in Deutschland ist im Moment stabil. Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist derzeit weiter gewährleistet", sagt die Bundesnetzagentur in ihrem täglichen Lagebericht. Das große Aber: "Die Lage ist angespannt und eine Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden."
Wird Gas jetzt noch teurer?
Ja, damit ist zu rechnen, aber nicht wegen der Ausrufung der Alarmstufe. Seit der Ankündigung der massiven Drosselungen vergangene Woche sind die Großhandelspreise eigentlich ständig gestiegen. Am wichtigen niederländischen Handelsplatz TTF kostete im Juli zu lieferndes Erdgas am Donnerstagnachmittag pro Megawattstunde rund 135 Euro nach 127 Euro am Vortag. Am Montag vor einer Woche, also vor der Drosselung, hatte der Preis noch bei gut 83 Euro gelegen. Auch das war schon hoch. Langfristverträge waren in der Vergangenheit oft mit 20 bis 30 Euro abgeschlossen worden. Haben die Versorger, also etwa Stadtwerke, in der Vergangenheit nicht genügend günstiges Gas bei den Großhändlern geordert, müssen sie nun an der Börse nachkaufen - zu aktuellen Preisen. Die Mehrkosten werden an die Kunden weitergereicht - und sorgen mit Verzögerung für steigende Gaspreise.
Dürfen die Stadtwerke und andere Gasversorger jetzt die Preise erhöhen?
Nein, noch nicht. Allerdings ermöglicht das Energie-Sicherungsgesetz unter bestimmten Voraussetzungen ein "Preisanpassungsrecht" für Versorgungsunternehmen in der Alarm- und Notfallstufe. Wird der Mechanismus aktiviert, könnten Versorger ihre aktuellen Mehrkosten innerhalb von nur einer Woche an ihre Kunden weitergeben. Damit soll verhindert werden, dass sie insolvent werden. Alte Verträge wären damit hinfällig, auch bei einer Preisgarantie - und für die Kunden würde es teuer.
Doch vorher muss die Bundesnetzagentur eine "erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland" formal festgestellt haben, was noch nicht geschehen ist. Es sieht im Moment nicht danach aus, dass dies bald passieren könnte: Der Mechanismus habe auch Schattenseiten, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Daher arbeite man an Alternativen. Mehrfach sagte Habeck allerdings auch, dass dieser Mechanismus "noch nicht" aktiviert wird.
Was können Haushaltskunden jetzt tun?
Die Stadtwerke Münster etwa haben Privathaushalte und Gewerbetreibende aufgefordert, das Auffüllen der Gasspeicher für den Winter zu unterstützen. "Der Gasverbrauch lässt sich beispielsweise durch ganz einfache Maßnahmen wie dem Abdichten von Türen und Fenstern mit Dichtband, dem Isolieren von Heizungsrohren oder dem Einbau digitaler Heizkörper-Thermostate reduzieren." Auch eine optimal eingestellte und gewartete Heizanlage helfe beim Energiesparen. Dazu rief auch Habeck auf.
Können Verbraucher auf zusätzliche Entlastungen hoffen?
Ja. Denn es ist schwer vorstellbar, dass der Bund den Weg frei macht für massive Energie-Preiserhöhungen, ohne Bürgerinnen und Bürgern beizuspringen. Doch noch ringen die Ampel-Koalitionäre miteinander. Während SPD und Grüne auf weitere Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger dringen, beharrt FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner darauf, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Sie setzt der Schuldenaufnahme des Bundes enge Grenzen.
Was sind die nächsten Schritte?
Mit flauem Gefühl schauen Branche und Regierung auf die am 11. Juli beginnende Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1. Der mehrtägige Prozess ist eigentlich jährliche Routine. Doch diesmal stellt sich die Frage, ob Russland den Gashahn nach zehn Tagen tatsächlich wieder aufdreht. Die Bundesnetzagentur hat bereits verschiedene Gasspeicher-Füllstand-Szenarien durchgerechnet - auch für den Fall, dass Deutschlands wichtigste russische Erdgasleitung nicht mehr liefert. Noch vorher, am 8. Juli, soll der Bundesrat zudem ein Gesetz beschließen, dass den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung möglich macht. Das soll den Gasverbrauch drücken. dpa