Wie gefährlich wäre ein Lieferausfall von russischem Gas für die deutsche Wirtschaft, Herr Prof. Kooths?

Nach der Ankündigung der G7, russisches Gas nicht in Rubel zu bezahlen, rückt das Szenario eines möglichen Lieferausfalls näher. Wie das die deutsche Wirtschaft träfe, erläutert Prof. Stefan Kooths.
München – Der Konjunkturchef des renommierten Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Prof. Stefan Kooths, hat vor weitreichenden wirtschaftlichen Folgen eines möglichen Lieferembargos für russische Energie-Importe gewarnt. „Von heute auf morgen ist ein Ersatz der russischen Lieferungen nicht möglich, ohne dass hierzulande die wirtschaftliche Aktivität erheblich leiden würde“, erklärte Kooths gegenüber Merkur.de*. Vor allem die wegen des Ukraine-Kriegs Sorgen-geplagte Chemie-Industrie könnte unter einem Lieferstopp für russisches Gas leiden.
Erst am Montag hatten die G7-Länder Forderungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Zahlung in Rubel eine Absage erteilt. Die sei „ein einseitiger und klarer Bruch der bestehenden Verträge“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Herr Prof. Kooths, die Diskussion um ein mögliches Embargo für russische Energie-Lieferungen nimmt Fahrt auf. Dabei ist die Stimmung in den Chef-Etagen der deutschen Unternehmen wegen des Ukraine-Kriegs schon jetzt im Keller. Kann die deutsche Wirtschaft derzeit überhaupt ohne russisches Gas auskommen?
Von heute auf morgen ist ein Ersatz der russischen Lieferungen nicht möglich, ohne dass hierzulande die wirtschaftliche Aktivität erheblich leiden würde. Das genaue Ausmaß ist schwer abzuschätzen, weil solche Brüche schwierig zu modellieren sind. Das Frühjahrsgutachten der Gemeinschaftsdiagnose wird darauf in Kürze genauer eingehen.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat seine Prognose zum Wirtschaftswachstum in Deutschland für das laufende Jahr gerade erst halbiert - auf 2,1 Prozent. Wäre diese Prognose denn noch zu halten, wenn es jetzt auch noch zu einem Lieferstopp für russisches Öl und Gas sowie Kohle kommen sollte?
Nein, weil die Prognose ausdrücklich auf der Annahme beruht, dass die Lieferungen fortgesetzt werden. Wobei es hier insbesondere um die Gasströme geht. Für Öl und Kohle dürften sich kurzfristig Alternativen auf den Weltmärkten finden.
Droht Deutschland für 2022 dann sogar eine Rezession?
Ein Einbruch der Wirtschaftsleistung ist dann tatsächlich möglich. Wie tief er ausfallen könnte, daran arbeiten wir gerade noch.
Welche Branchen würden von einem möglichen Import-Stopp von russischem Gas am stärksten getroffen?
Am meisten Sorge macht uns die Chemieindustrie, weil sie am Anfang vieler industrieller Wertschöpfungsketten steht. Deshalb steht nicht nur die dortige Produktion im Feuer, sondern auch die auf nachgelagerten Stufen. Eine wichtige Rolle spielt deshalb, inwiefern sich chemische Vorprodukte kurzfristig aus anderen Teilen der Welt beschaffen lassen. Solche Importe würden uns helfen, die übrige Wertschöpfung aufrechtzuerhalten und so den Produktionsausfall in der Chemieindustrie abfedern.
Ukraine-News: IfW-Konjunkturchef - Brauchen EU-weit abgestimmtes Verhalten für staatliche Hilfen
Die Ampel-Koalition hat sich mit Blick auf die hohen Energiepreise vor wenigen Tagen auf ein umfassendes Entlastungspaket für private Haushalte geeinigt. BDI-Chef Siegfried Russwurm hat am Freitag auch Hilfen für die deutsche Industrie gefordert. Wegen der Entwicklung bei den Energiepreisen seien viele Unternehmen inzwischen in „existenziellen Schwierigkeiten“. Ist das nur Alarmismus oder teilen Sie diese Einschätzung?
Statt nationaler Alleingänge wäre ein EU-weit abgestimmtes Verhalten dringend geboten. Ein Wettlauf um Hilfen für die energieintensive Industrie nutzt niemandem und verfehlt am Ende das Ziel. Denn: Es geht darum, mit einer verschärften Knappheit umzugehen. Genau dafür muss man die Preissignale wirken lassen. Mit Energiepreissubventionen oder Energiesteuersenkungen schafft man die Knappheit nicht aus der Welt, sondern hält nur die Nachfrage hoch. Im Ergebnis steigen so die Nettopreise für Energie. Das entlastet nicht die Energieverbraucher, sondern füttert die Energieproduzenten. Die EU-Kommission müsste daher der ins Kraut schießenden Subventionitis Einhalt gebieten, damit es im Binnenmarkt nicht zwischen den Mitgliedsländern zu kontraproduktiven Wettbewerbsverzerrungen kommt. Genau dafür ist die Wettbewerbs- und Binnenmarktaufsicht da. Wenn die Bedingungen für die von höheren Energiekosten betroffenen Unternehmen ähnlich sind, können sie diese auch leichter an ihre Kunden weitergeben. Das wäre die marktwirtschaftliche Lösung, die den gesamtwirtschaftlichen Schaden so gering wie möglich hält. Die EU hat sich im Beschluss über die Sanktionen sehr geschlossen gezeigt. Auf diese Geschlossenheit kommt es jetzt auch in der Reaktion auf die Sanktionsfolgen an. Leider läuft hier derzeit vieles in die falsche Richtung.
Aber hierzulande werden wegen der hohen Energiepreise die Forderungen nach staatlichen Hilfen immer lauter, Stichwort Mehrwertsteuer-Senkung für Strom oder Sprit. Wie könnte der Bund den Unternehmen denn konkret helfen?
Hilfen, die unmittelbar an den Einsatz von Energie gebunden sind, ergeben keinen Sinn. Denn wenn kurzfristig weniger Energie verfügbar ist, muss sie irgendwo eingespart werden. Von Energiesubventionen und -steuersenkungen sollte man daher die Finger lassen. Hilfen müssen vielmehr so ausgestaltet sein, dass sie Unternehmen helfen, kurzfristig den Energiepreisschub zu schultern und Anreize setzen, nach Alternativen zu suchen. Und es sollten nur solche Unternehmen über Wasser gehalten werden, denen ein tragfähiges Geschäftsmodell zugetraut werden kann. Das spricht für Kredithilfen, an denen sich auch private Geldgeber beteiligen müssen. Kurzarbeitergeld kann begleitend eine wichtige Rolle spielen, es sollte aber degressiv gestaffelt sein, um den Strukturwandel nicht unnötig aufzuhalten.
Was halten Sie von Vorschlägen, Unternehmen, die wegen der hohen Energiepreise in die Verlustzone gerutscht sind, steuerliche Verlustrückträge zu ermöglichen?
Das ist ein guter Vorschlag, er sollte aber für alle Unternehmen gelten. Denn höhere Energiepreise verteuern nach und nach auch andere Güter. Er ist auch deshalb gut, weil er maximale Flexibilität bei den Betroffenen belässt und nur solchen Unternehmen unter die Arme greift, die zuvor profitabel waren. Das ist zwar noch keine Garantie für auch zukünftig tragfähige Geschäftsmodelle, aber zumindest kommen Zombie-Unternehmen dadurch nicht in den Genuss staatlicher Hilfen.
Der russische Präsident Wladimir Putin will ab dieser Woche nur noch Rubel für die Lieferung von Gas akzeptieren. Welches Kalkül steckt dahinter?
Es gibt zwei Lesarten. Für beide gilt: Rubel gibt es für den Westen letztlich nur von Russland. Die eine Lesart geht davon aus, dass damit nur die russische Zentralbank wieder ins Spiel gebracht werden soll, indem sich die westlichen Gaskäufer an sie wenden müssen, um Rubel gegen Euro zu erhalten. Materiell würde das wenig ändern, zumal die Gasverkäufer auch bislang schon 80 Prozent der Deviseneinnahmen bei der Zentralbank abliefern müssen. Die andere Lesart besagt, dass die Zentralbank für diesen Umtausch nicht bereitstehen wird. Dann bliebe dem Westen nur die Möglichkeit, wieder Güter an Russland zu liefern, um an Rubel zu kommen und so die Sanktionen ins Leere laufen zu lassen.
Was sollte der Westen also tun: Die Rubel-Forderung akzeptieren oder auf der vertraglich vereinbarten Bezahlung in Dollar bzw. Euro beharren?
Grundsätzlich sollte man immer auf die Einhaltung von Verträgen pochen. Das ist allerdings gegenüber einem Vertragspartner, der in atemberaubend kurzer Zeit das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen zu verspielen bereit ist, müßig. Wenn es nur darum ginge, die Zentralbank zwischenzuschalten, ist es meines Erachtens mehr eine Frage des Prestiges als der ökonomischen Logik. Sollte es um die zweite Lesart gehen, fiele mit der Akzeptanz der Rubelzahlungen das Sanktionsregime in sich zusammen. Damit würde nicht nur der Westen seine Glaubwürdigkeit aufgeben, sondern auch die Kriegsfähigkeit Russlands befördern.
Aber solange Deutschland russisches Gas bezieht, finanzieren wir den Krieg in der Ukraine mit. Ist ein Lieferstopp für russische Kohle, Öl und Gas nicht ein besonders effizienter wirtschaftlicher Ansatz, um Putin endlich zum Einlenken zu bewegen?
Mit Devisen allein kann man keinen Krieg führen. Entscheidend ist, ob sich der Kreml für die Rohstoffeinnahmen etwas in der übrigen Welt kaufen kann – erst dann würden wir über Rohstoffkäufe den Krieg finanzieren. Für westliche Unternehmen ist das Russlandgeschäft weitgehend toxisch geworden. Damit dürften die Güterströme vom Westen nach Russland nahezu versiegen. Das schwächt die russische Wirtschaft erheblich, was auch die Kriegsfähigkeit herabsetzt. Entscheidend ist daher weiterhin die Handelsblockade. Hierzu zählen auch sekundäre Sanktionen, also die Ansage an Unternehmen aus der übrigen Welt, dass sie die Wahl haben zwischen Handel mit Russland und Handel mit dem Westen. Wer dann immer noch mit Russland handeln will, wird von Russland auch bezahlt werden können, egal ob wir Rohstoffe von Russland kaufen oder nicht. Denn Russland könnte seine Importe einfach gegen Öl beziehen oder auf seine erheblichen Goldreserven zurückgreifen. Wenn man Putin ökonomisch in den Arm fallen will, dann über das Embargo der Güterlieferungen nach Russland, nicht durch einen Stopp der Rohstofflieferungen aus Russland. Dazu kann dann allerdings auch ein Gasboykott gehören, wenn Putin auf Rubelzahlungen besteht und die russische Zentralbank keine Rubel gegen Euro herausgibt. Das wäre dann de facto aber ohnehin ein russischer Lieferstopp.
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