1. Gießener Allgemeine
  2. Wirtschaft

Radikalkur bei Bahn angekündigt

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Für Klimaschutz sollen die Menschen vom Flieger oder Auto umsteigen

Berlin -Mit dem 9-Euro-Ticket kann man was erleben: Zugausfälle, Verspätungen, Reisestress. Mitten im großen deutschen Bahn-Test kommt den Verantwortlichen die bittere Erkenntnis: Es kann so nicht weitergehen mit dem bundesweiten Schienennetz. Viele Gleise, Weichen, Brücken und Stellwerke sind überaltert, das Netz nicht bereit für Millionen zusätzliche Fahrgäste. An hunderten Stellen bauen und zugleich mehr fahren - so wie jetzt funktioniert das nicht.

Eine "Generalsanierung" der wichtigsten Strecken soll die Bahn nun fit machen. Viele Fragen dazu sind noch offen, doch die Richtung hat der Bund nun vorgegeben: "Ich erwarte, dass wir in Zukunft wieder die Uhr nach der Bahn stellen können", sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).

Das war zuletzt immer schwieriger geworden. Mehr als jeder dritte Fernzug kam im Mai zu spät - so schlecht war die Quote seit zwölf Jahren nicht mehr. Auch Regionalzüge verspäten sich häufiger. Weil mehr als 200 Güterzüge still stehen, schimpft auch die Industrie über die Bahn. "Wir verfehlen nicht nur unsere Klimaziele, sondern haben auch Wachstumseinbußen", warnte Wissing.

Der Plan: Von 2024 an sollen die wichtigsten Korridore generalsaniert werden, Abschnitte wie Dortmund-Duisburg-Düsseldorf-Köln oder die Knoten München und Hamburg. Jedes Jahr zwei bis drei dieser Abschnitte, beginnend vielleicht mit der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim.

Schwellen, Schotter, Gleise, Weichen, Stellwerke, Signale, Bahnsteige - was sonst nacheinander gemacht wurde, sollen die Baufirmen dort nun gleichzeitig richten und den Abschnitt auch auf mehr Kapazität trimmen. "Die Strecke wird einmal gesperrt und ist dann für viele Jahre baufrei", so die Idee.

Für die Kunden machte Bahnchef Richard Lutz jedoch deutlich: "Einen schmerzfreien Weg der Gesundung wird es nicht geben." Denn die Vollsperrungen werden wochen- oder monatelange Umleitungen und längere Fahrzeiten bringen.

Das Ziel: ein Hochleistungsnetz. Hat die Bahn früher Überholgleise und Weichen abgebaut, sollen es davon wieder mehr geben. Auch mehr Signale, damit Züge an Baustellen bei vollem Tempo auf dem Nebengleis vorbeirauschen können. Statt immer nur am kostengünstigsten soll öfter schnell und damit kundenfreundlich gebaut werden.

Bund will

durchgreifen

Der Weg: Der Bund greift beim bundeseigenen Konzern stärker durch. Eine Steuerungsgruppe im Ministerium soll die Korridorsanierung koordinieren und überwachen. Die Beamten kontrollieren auch den Umbau des Konzerns: Die Infrastrukturtöchter der Bahn sollen zum 1. Januar 2024 zu einem gemeinwohlorientierten Unternehmen zusammengefasst werden. "Wir werden die Eigentümerinteressen stärker durchsetzen", kündigte Wissing an, "gegenüber dem Aufsichtsrat und auch gegenüber dem Vorstand". Die Sanierung des maroden Netzes sei für ihn "Chefsache". Bahnchef Lutz, der den Plan kürzlich schon skizziert hatte, sagte: "Ich fühle mich nicht an die Leine genommen."

Zuständig für die Infrastruktur war im Bahn-Vorstand zuletzt der frühere CDU-Politiker Ronald Pofalla. Er war Ende April vorzeitig gegangen. Wissing kündigte an, dass der Aufsichtsrat der Bahn heute einen Nachfolger benennen werde. Als Favorit gilt der Personenverkehrsvorstand Berthold Huber.

Wie es zu der Misere bei der Bahn kam? Politische Fehlentscheidungen, meint der FDP-Mann Wissing, der das lange unionsgeführte Ministerium im Herbst übernahm. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die notwendigen Milliarden für die Generalsanierung fließen. Für langfristige Bauvorhaben sei langfristige Planungssicherheit notwendig, mahnte die Bahnlobby Allianz pro Schiene. Lutz sagte: "Das Thema Geld wird in den nächsten Jahren keine Rolle spielen." Die Aufgabe ist groß. Seit Jahren arbeitet die Bahn an ihrem Sanierungsstau, den sie zuletzt auf rund 60 Milliarden Euro bezifferte. "Wir haben auf den hochbelasteten Korridoren noch nie so viel gebaut und hatten noch nie so viel Verkehr", erklärte Lutz. 51 000 Züge fahren täglich durch Deutschland. 2030 werden 59 000 erwartet. dpa

Auch interessant

Kommentare