BGH räumt dem Klimaschutz den Vorrang ein

Bundesgerichtshof: Gebäude darf nach Wärmedämmung ins Nachbar-Grundstück ragen
Karlsruhe/Frankfurt -Um das nachträgliche Dämmen von Altbauten voranzutreiben, darf das Land Berlin betroffenen Nachbarn fürs erste weiter sehr viel zumuten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwar Zweifel, ob die außergewöhnlich weitgehende Regelung in der Hauptstadt noch verfassungsgemäß ist. Die obersten Zivilrichter halten es aber nicht für ausgeschlossen, dass der Klimaschutz ein solches Vorgehen der Politik rechtfertigt. Deshalb liegen die Voraussetzungen nicht vor, um das Bundesverfassungsgericht einzuschalten, wie die Senatsvorsitzende Bettina Brückner bei der Urteilsverkündung am Freitag in Karlsruhe sagte. (Az. V ZR 23/21)
Die Regelung im Berliner Nachbarrechtsgesetz gilt für die Sanierung von Altbauten, die exakt bis zur Grundstücksgrenze gehen. Hier taucht regelmäßig ein Problem auf: Eine Dämmschicht außen am Gebäude braucht zusätzlichen Platz - und ragt dann ein Stück weit zum Nachbarn hinüber. Ohne dessen Einverständnis wird es also schwierig.
Damit Sanierungen nicht an dieser Hürde scheitern, haben die meisten Bundesländer Vorschriften erlassen, die Nachbarn unter bestimmten Bedingungen zur Duldung verpflichten. In der Regel ist dort vorgeschrieben, wie viel Platz die Dämmung maximal einnehmen darf. Teilweise muss geprüft werden, ob nicht auch eine Dämmung von innen infrage käme. Oder es steht im Gesetz, dass der Überbau die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen darf - wie zum Beispiel in Hessen, gemäß Paragraf 10a, Abs. 1 Nr. 3 NachbarRG. Demnach ist dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks ein angemessener Ausgleich in Geld zu leisten. In Niedersachsen darf ein Gebäude nach der Wärmedämmung maximal 25 Zentimeter ins Nachbargrundstück ragen, "wenn der Überbau die Nutzung des Grundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt" (Paragraf 21a NNachbG).
In Berlin wurde auf solche Vorgaben verzichtet, um Streit von vornherein zu vermeiden. Dort heißt es einfach: "Der Eigentümer eines Grundstücks hat die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht." Vorgesehen ist nur, dass er mit einer Geldrente zu entschädigen ist und die Entfernung der Dämmschicht verlangen kann, falls er selbst anbauen möchte. Die Regelung lässt selbst dann keinen Raum für Ausnahmen, wenn die Dämmschicht zu Problemen führt - zum Beispiel weil ein Durchgang so eng wird, dass man mit den Mülltonnen oder dem Fahrrad nicht mehr durchkommt. Das bereitet den BGH-Richtern Bauchschmerzen.
Andererseits sei der Klimaschutz ein überragend wichtiges Ziel von Verfassungsrang, sagte Brückner. Die Allgemeinheit habe ein Interesse daran, dass möglichst viele Gebäude möglichst rasch gedämmt würden. Vor diesem Hintergrund könne die Berliner Regelung noch verhältnismäßig sein. dpa/pan