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Kirchturmuhr zu laut? Verantwortliche reagieren auf Beschwerde - und werden kritisiert

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Von: Edelgard Halaczinsky

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Die Turmuhr der Nieder-Rosbacher Burgkirche wird künftig nicht mehr um 10 Uhr läuten - was vielen Bürgern nicht gefällt. © Edelgard Halaczinsky

Die Kirchturmuhr in Nieder-Rosbach soll künftig um 10 Uhr nicht mehr läuten. Damit reagiert die Burgkirchengemeinde auf eine Beschwerde. Die Verringerung der Läutezeiten sorgt für Unfrieden.

Rosbach - Glocken und Geläute begleiten uns seit über 5000 Jahren. Mit dem Ausgang der Spätantike finden sie Eingang ins Christentum«, schrieb Heinz Rahn vom Heimatgeschichtsverein in den Rosbacher Geschichtsblättern von 2015. »Sie begleiten das Leben eines Christen und seiner Gemeinde zu verschiedenen Anlässen und Stationen des Lebens.« Soll an der Nieder-Rosbacher Burgkirche (aus dem dritten Viertel des 18. Jahrhunderts stammend) nun Schluss damit sein?

Nein, sagt der Kirchenvorstand in einer kürzlich herausgegebenen Stellungnahme. Es gebe lediglich eine Anpassung an die Bedürfnisse von Mitbürgern. Ja, befürchten hingegen zahlreiche Gemeindemitglieder, denn der Anfang sei gemacht: Die Zeitglocke, die seit eh und je um zehn Uhr morgens zum Gebet läutet, soll künftig nicht mehr erklingen. Ein Neubürger hatte sich über den Lärm beklagt und der Kirchenvorstand zügig gehandelt.

Rosbacher Burgkirche: Ironische Frage nach den Hähnen

Viele quittieren das mit Kopfschütteln, manche sogar mit Wut. Der Kirchenvorstand habe vorschnell auf die Beschwerde reagiert, ohne die Gemeinde gefragt zu haben. Über 100 Einträge gibt es bereits in den sozialen Medien, und im Ort regt sich Unverständnis darüber, dass Minderheiten den Mehrheiten »inzwischen leider alles vorschreiben« können. Es wird die ironische Frage gestellt, wann auch Hähne nicht mehr krähen und Frösche nicht mehr quaken dürfen.

Auch die Grünen im Stadtparlament beschäftigen sich mit dem Thema, und manch ein Ober-Rosbacher Bürger erinnert sich an einen Streit vor mehr als zehn Jahren zwischen der Stadt und einem Neubürger neben dem Alten Rathaus, dem es gelang, die Ober-Rosbacher Traditionsfeste wegen ihres Lärmpegels aus dem alten Ortskern zu verbannen. Was damals zerstört wurde, hat sich so nie wieder aufbauen lassen.

Rosbacher Burgkirche: Verweis auf Bad Nauheimer Dankeskirche

»Hier geht es um gewachsene Traditionen, die von einem einzigen einfach so gekippt werden«, sagt Stadtrat Norbert Schön (Stimme) verärgert. Er wohnt in dem betreffenden Ortsteil und warnt davor, etwas auszuradieren, was die Lebensgewohnheiten der Menschen dort über Jahrhunderte geprägt hat.

Pfarrerin Mirjam Welsch spricht hingegen davon, dass sich nur »wenig verändert« habe, denn die anderen Läutezeiten (fünfmal täglich, plus Läuten zu den Gottesdiensten) habe man beibehalten. Zudem gebe die Änderung den Gläubigen die Gelegenheit, die alten Gebetszeiten wieder stärker in ihrer ursprünglichen Bedeutung zu beachten. Außerdem würden die Glocken der Burgkirche viel öfter läuten als anderswo.

Als »Augenwischerei« bezeichnete eine Besucherin des Rosbacher Bauernmarkts am Freitag diese Argumente und sah sich von Umstehenden bestätigt. Sie fragte, warum man nicht ähnlich gehandelt habe wie die Verantwortlichen an der Bad Nauheimer Dankeskirche. Dort habe man sich vor einigen Jahren in ähnlicher Angelegenheit nicht von einem Neubürger einschüchtern lassen - und die Glocken läuten heute noch.

Rosbacher Burgkirche in Hessen: »Keine einfache Entscheidung«

In Rosbach habe man durch technische Änderungen doch bereits genug Entgegenkommen bewiesen (der Lärmpegel der Glocken wurde reduziert), da müsse man nicht auch noch »wegknicken« und Läutezeiten wegstreichen. Mit seiner Stellungnahme an die Gemeindemitglieder habe der Kirchenvorstand gezeigt, dass er »kein Rückgrat« habe, aber die Leute belehren wolle.

»Es war keine einfache Entscheidung«, heißt es von Seiten des Gremiums. Schließlich habe es für beide Optionen ein Für und ein Wider gegeben. Aber man habe auch jenen Anwohnern, die sich durch das Glockengeläut gestört fühlen, entgegenkommen und zugleich die alten Gebetszeiten beleben wollen. Ob Letzteres gelungen ist, scheint nach Lektüre der zahlreichen Internet-Einträge fraglich.

Zwei Arten von Geläut

Juristisch ist zwischen sakralem und nicht sakralem Glockengeläut zu unterscheiden. Neben dem Läuten während gottesdienstlicher Handlungen fällt unter ersteres z. B. auch Gebets- und Gedächtnisläuten. Zu weltlichem Geläut gehört der Stundenschlag - er war im Mittelalter die einzige Möglichkeit für das gemeine Volk, die Uhrzeit zu erfahren. Das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung steht prinzipiell über dem individuellen Ruhebedürfnis. Das sakrale Glockengeläut unterliegt deshalb nicht den immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen und ist von den Anwohnern hinzunehmen. Aber: Keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt inzwischen auch Gerichte, die den Anwohnern Recht geben.

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