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In Zeiten von Corona: Hebamme aus Bad Vilbel gibt Einblicke in ihren Beruf

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Hebamme Silke Mehltretter ist unterwegs zu einem Hausbesuch. Derzeit berät sie junge Eltern auch vermehrt über Video-Telefonate. 	FOTO: KÖTTER
Hebamme Silke Mehltretter ist unterwegs zu einem Hausbesuch. Derzeit berät sie junge Eltern auch vermehrt über Video-Telefonate. © Jana Kötter

Silke Mehltretter aus Bad Vilbel ist eine von 24 000 Hebammen in Deutschland. Zum Welthebammentag gibt sie Einblicke in ihren Beruf und verrät ein Dilemma.

Der heutige 5. Mai ist Welthebammentag. Eine der rund 24 000 Hebammen in Deutschland, deren Arbeit damit wertgeschätzt werden soll, ist Silke Mehltretter aus Bad Vilbel. Unsere Mitarbeiterin Jana Kötter hat mit ihr über einen glücklich machenden Beruf, fehlende Unterstützung durch die Politik - und das Kinderkriegen in Corona-Zeiten gesprochen.

Frau Mehltretter, wie ist es, in Zeiten von Corona Hebamme zu sein?

Anfangs habe ich ehrlich gesagt damit gerechnet, viele ängstliche Frauen anzutreffen. Das ist aber nicht eingetreten: Vielmehr treffe ich sehr reflektierte Frauen, die zwar die bestehenden Abstands- und Hygieneregeln beachten, aber nicht panisch werden. Was ich jedoch deutlich wahrnehme, ist eine Berührungsangst mit Kliniken.

Auch unbekannte Frauen kontaktieren mich vermehrt, um die Möglichkeit einer Hausgeburt zu erfragen - ich betreue jedoch keine Geburten, sondern begleite nur vor und nach der Geburt. In vielen Kliniken dürfen oder durften zumindest zwischenzeitlich keine Väter mit in den Kreißsaal, in fast allen Krankenhäusern dürfen Männer aktuell nicht auf die Wochenbett-Station. Damit sind die Väter jedoch die ersten zwei bis drei Tage von ihrer Frau und dem Kind getrennt. Das war bis in die 1950er Jahre normal, ist aber sehr schade, da wir heute wissen, wie wichtig eine intensive Bindung gerade in den ersten Tagen des Familie-Werdens ist.

Was raten Sie Schwangeren?

Die Klinik nach der Geburt möglichst schnell wieder zu verlassen. Viele Aspekte der Nachbetreuung - etwa der vorgesehene Stoffwechseltest oder auch die Vorsorgeuntersuchung U 2, die drei bis spätestens zehn Tage nach der Geburt stattfindet, - können auch ambulant, durch Hebamme oder bei der U 2 durch den niedergelassenen Kinderarzt, übernommen werden.

Eine Empfehlung, aktuell auf eine Hausgeburt zu setzen, sprechen Sie nicht aus?

Das wäre aus Kapazitätsgründen gar nicht möglich - dafür gibt es nicht ausreichend Hebammen, die Hausgeburten betreuen. Für das Begleiten von Hausgeburten muss eine Hebamme entsprechend versichert sein, Fortbildungen nachweisen, ebenso ein Qualitätsmanagement. Viele sind deswegen ganz bewusst aus der Betreuung von Hausgeburten ausgestiegen - die Versicherung kostet rund 8000 Euro im Jahr. Die Kapazität entsprechend hochzuschrauben, beispielsweise indem Hebammen wie ich ihr Angebot kurzfristig erweitern, ist aufgrund dieser hohen Anforderungen schlichtweg nicht möglich.

Die hohen Prämien der Versicherungen sind immer wieder Thema. Ist der Engpass jetzt nicht zuletzt die »Quittung« für politische Versäumnisse, Ihren Beruf ausreichend zu unterstützen?

Es ist politisch tatsächlich nicht gewollt, dass daheim geboren wird. Das muss man in dieser Deutlichkeit sagen. Frauen, die eine Hausgeburt wünschen, müssen sich darum in der sechsten bis zehnten Schwangerschaftswoche kümmern. Ähnlich sieht es übrigens in Geburtshäusern aus. Kümmern sich Frauen erst nach der zwölften Schwangerschaftswoche überhaupt um eine Hebamme, gehen sie - zumindest in Ballungsräumen wie bei uns im Rhein-Main-Gebiet - nicht selten »leer« aus. Ganz deutlich wurde die mangelnde Unterstützung für unseren Beruf übrigens noch einmal jetzt in der Corona-Epidemie: Offiziell werden die »systemrelevanten Berufe« zwar immer wieder gelobt, aber ich weiß von Kolleginnen, dass sie mitunter erst nach drei Wochen intensiven Bemühens eine Notbetreuung für ihr Kind gefunden haben. An solchen Stellen wäre praktische Hilfe wichtig, um die Versorgung aufrechtzuhalten.

Wer springt ein, wenn Schwangeren keine Hebamme zur Seite steht?

Dann ist umso wichtiger, dass sich Frauen in der Theorie gut vorbereiten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Einzeltermine wahrzunehmen. Das biete ich auch in meiner Bad Vilbeler Praxis an. Dann kommen Frauen beispielsweise für eine einmalige Stillberatung. Eine vollumfängliche Betreuung ist das aber nicht.

In der Corona-Epidemie ist Hebammen zeitlich befristet erlaubt, die Betreuung teils auch über Videokonferenzen zu leisten. Kann das das persönliche Treffen ersetzen?

In Teilen durchaus. Auch ich biete Video-Beratungen an. In der Regel sind die ersten beiden Besuche persönlich, zwischendurch können dann Video-Termine stattfinden. Es muss ein sinnvoller Mix sein, denn natürlich gibt es Fälle, in denen ich einmal fühlen muss oder ein »richtiger« Blick notwendig ist - wie weit die Rückbildung der Gebärmutter beispielsweise ist oder wie ein Hautausschlag beim Baby genau aussieht. Das Videobild kann also nicht ersetzen, aber doch sinnvoll ergänzen. Nicht zuletzt bedeutet das für mich ja auch eine Zeitersparnis - und damit wieder freiwerdende Ressourcen. Aus meiner Sicht wäre es daher gut, wenn die Möglichkeit für uns nach Corona weiter besteht.

Trotz all dieser Herausforderungen: Warum, sagen Sie, ist Hebamme der schönste Beruf der Welt?

Mein Beruf ist unheimlich befriedigend. Keine Frage: Er ist auch in Nicht-Corona-Zeiten anstrengend - immerhin haben wir tagtäglich mit Menschen in Ausnahmesituationen zu tun, das erfordert Empathie und Flexibilität. Aber Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dankbar schwangere Frauen sind, eine zweite Ansprechpartnerin zu haben.

Wenn ich als Hebamme meine Hand auf den Bauch der Schwangeren lege und das Baby und seine Position ertaste, ist das mitunter das erste Mal, dass jemand vom Fach den Bauch berührt- weil der Gynäkologe nicht selten nur den Ultraschallkopf zum »Fühlen« wie das Baby liegt benutzt. Diese »Handfertigkeit« ist eine Zuwendung, die während der Schwangerschaft niemand so leisten kann wie wir Hebammen.

Die meisten sind Freiberufler

Laut Deutschem Hebammenverband gibt es in Deutschland ungefähr 24 000 Hebammen (2017). Im gleichen Jahr sind 777 820 Kinder in Kliniken geboren worden - bei 5494 Hausgeburten. Laut einer Studie arbeiten 70 bis 80 Prozent der Hebammen freiberuflich, mehrheitlich ohne Geburtshilfe: Laut IGES-Studie haben 25 Prozent der freiberuflich tätigen Hebammen mit Geburtshilfe von 2008 bis 2010 die Geburtshilfe aufgegeben - auch wegen der hohen Haftpflichtprämien, die immer wieder in der Kritik standen. Einer Umfrage des Hebammenverbands zufolge betreut die Hälfte der Klinikhebammen häufig drei Frauen parallel, weitere zwanzig Prozent sogar vier und mehr. jkö

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