Widerstand wächst

Bei nasskaltem Wetter Tag und Nacht hoch in einem Baumwipfel? Das hält kein Mensch lange aus. Das denken viele. Die Aktivisten gegen den Bau der A 49 im Dannenröder Wald wollen das Gegenteil beweisen. An vielen Stellen erwacht der alte Widerstand neu. Die Baumbesetzer stellen sich auf eine Machtprobe mit dem Staat ein.
Über eine Woche Belagerungszustand am Dannenröder Sportheim. Dort befindet sich eine Art Basislager für die Waldbesetzer, die die geplante Rodung für den Bau der A 49 verhindern wollen. Ins alte Sportheim dürfen die jungen Leute nicht, weil der betreibende Verein Angst hat, es würde Unordnung geben. Zudem ist es in diesen Tagen nicht immer einfach, Flagge »für« oder »gegen« die Autobahn zu zeigen, es hat schon heftige Beschimpfungen gegeben, ist zu hören.
An diesem Morgen stehen plötzlich zwei Besucher, ein Mann aus Oldenburg und eine Frau aus Willingshausen, da. »Wir haben von der Aktion gehört und wollten mal vorbeischauen.« Sie treffen auf die Mahnwache, die ständig besetzt sein muss, damit kein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorliegt. Prompt trägt sich der Mann in die ausgelegte Unterstützerliste ein: »Wir drücken die Daumen.«
Wieder zwei, an die 1000 Unterschriften sollen so in den letzten Wochen zusammengekommen sein. Seit das Häuflein junger Menschen mit der Waldbesetzung im Bereich Dannenrod und Lehrbach begonnen hat, scheint die Unterstützung nach Auskunft der Organisatoren mit jedem Tag zu wachsen. »Die Menschen geben uns Kraft, und wir haben das Gefühl, wir geben ihnen ein bisschen Kraft, die sie in langen Jahren des Widerstands verloren hatten«, sagt einer der jungen Aktivisten. Friedrich Plitzko von den Homberger Grünen erinnert sich: »Anfang der 1980er Jahre haben wir als Gruppe gegen diese Autobahn protestiert. Die alten Flugblätter müssen noch irgendwo liegen.« Barbara Schlemmer, ebenfalls von den Grünen, die fast täglich ihre zwei Waldspaziergänge zum Baumcamp und zurück absolviert, und dazwischen auch mal Ingwertee für ein Erkältungsopfer kocht, ist wütend auf den hessischen Grünen-Minister Tarek Al-Wazir. »Auch wenn er sich auf Bundesrecht beruft, er könnte versuchen, dem Weiterbau Steine in den Weg zu legen.«
Einer der Baumbesetzer will mit seiner Mitstreiterin im Bauwagen gerade einen Happen frühstücken und die weitere Arbeit planen. Arbeit? Für einige Kritiker nicht vorstellbar, manche schimpfen auf »Ökos, die im Baum hocken und noch nie im Leben etwas Richtiges gearbeitet haben«. Jawohl, Arbeit, versichern die Aktivisten, und zählen Beispiele auf. Dabei sind Kälte und Nässe nicht das Problem, versichern sie. Baumbesetzungen seien ja meistens im Herbst und Winter. Einer der Besetzer hat aber erst kürzlich auf der Internetseite geschildert, wie nervenzermürbend die Aktion sein kann. Seine Mitstreiter sprechen von einer »Einzelmeinung«, die Menschen seien halt unterschiedlich viel gewohnt. Sie haben sich auf eine Besetzung eingestellt, die noch länger dauert. Notfalls harre man Jahre aus, wenn sein muss. Sie wissen aber, dass der Staat das geltende Baurecht notfalls mit Polizeieinsatz durchsetzen wird, um den Weg für die Rodungen frei zu machen.
Schaue man auf das Beispiel Hambacher Forst, dann sehe man aber, »dass die ganze Sache erst durch die Räumung der Baumcamps so groß geworden ist«. Währenddessen kreist wie an jedem Tag der Polizeihubschrauber über dem Waldgebiet. Friedrich Plitzko: »Die warten natürlich darauf, dass wir aufgeben.«
Vorerst sieht es danach nicht aus, erst am Sonntag machten 300 Teilnehmer trotz des schlechten Wetters beim solidarischen Waldspaziergang mit. Auch die Kirchen hätten inzwischen Unterstützung signalisiert, sagt Barbara Schlemmer, es solle einen speziellen Gottesdienst und ein »Mahnläuten« der Kirchenglocken geben. Aus dem Dorf und der Region kommt etliches an Unterstützung. Täglich werden Kannen mit Tee und Kaffee angeliefert, im Dorf gibt es die »Suppen-Gruppe«, die Kochtöpfe mit heißer Stärkung bringt. Mal kommen Tüten mit frischen Brötchen an, mal gibt es eine Kiste mit Birnen, mal kommt ein Handwerker und fragt, ob Dämmmaterial für die Baumhäuser gebraucht wird. Eine Frau hat ihre Wiese nahe des Sportplatzes zur Verfügung gestellt, zwei Zelte stehen bereits darauf.
Auch die Gegenseite will nicht tatenlos bleiben und zeigt Flagge. Im Ort findet sich ein Transparent der Autobahnbefürworter, ein anderes an der Zufahrt zum Sportplatz sei entfernt worden, man weiß nicht, von wem. Unfair, findet Barbara Schlemmer, jede Meinung könne geäußert werden. Ein Mann aus Dannenrod kann die ganze Aufregung nicht verstehen, die um die paar Bäume gemacht werde. Das mit dem Abholzen des Regenwaldes findet er viel heftiger, das ärgere ihn so richtig und das sei auch für das Klima ganz schlimm. Die Aktivisten sehen es anders: »Der Dannenröder Forst ist unser Amazonas«, hat einer auf ein Schild geschreiben, das neben der Mahnwache hängt.
Curt-Ekkehardt Schenck zu Schweinsberg, dem große Teile des Dannenröder Forstes gehören, sagt übrigens auf Anfrage am Telefon nur so viel: »Kein Kommentar.«