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Vogelsberg vor Hausarzt-Krise: Viele Doktoren gehen in Ruhestand – aber wer übernimmt?

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Von: Lena Karber

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Bleiben sie im Vogelsberg auf absehbare Zeit leer? Ein Sprechzimmer in einer Hausarztpraxis.
Bleiben sie im Vogelsberg auf absehbare Zeit leer? Ein Sprechzimmer in einer Hausarztpraxis. © Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

Fast ein Drittel der Hausärzte im Kreisgebiet zählt zur Altersklasse »60 plus« und wird wohl bald in den Ruhestand gehen. Doch gerade in ländlichen Regionen ist es schwer, Nachfolger zu finden. Laut Susanne Sommer, der Bezirksvorsitzenden des Hausärzteverbandes, ist das Problem diffizil.

Alsfeld – Wie soll zukünftig eine gute ärztliche Versorgung auf dem Land gewährleistet werden? Diese Frage beschäftigt auch die Landesregierung. Wirft man einen Blick auf Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH), wird klar, wieso: Fast 30 Prozent der Hausärzte landesweit gehören zur Altersklasse »60 plus«, während nur gut zehn Prozent jünger als 41 sind. Entsprechend liegt das Durchschnittsalter der mehr als 4000 hessischen Hausärzte bei 55,12 Jahren.

Der Vogelsbergkreis steht dabei mit einem Durchschnittsalter von 54,29 Jahren und einem »Ü-60«-Anteil von 27,94 Prozent nur unwesentlich besser dar, hat jedoch schlechtere Ausgangsbedingungen. Während in Hessen durchschnittlich 1636 Einwohner auf einen »Versorgungsauftrag«, also auf eine Hausarztstelle mit mindestens 25 Praxis-Sprechstunden pro Woche, kommen, sind es hierzulande 2829. »Im Vogelsberg haben wir das Problem, dass wir in den nächsten Jahren einen Generationenwechsel haben werden«, sagt Susanne Sommer, Bezirksvorsitzende des Hausärzteverbandes Hessen im Vogelsbergkreis. Geht man von einer Praxisübergabe im Alter von 65 Jahren aus, ergibt sich laut KVH bis 2025 eine Nachbesetzungsquote von 27,6 Prozent.

Hinzu kommt, dass der Versorgungsaufwand mit steigendem Alter der Landbevölkerung wächst - besonders, wenn die Fahrtwege zu Hausbesuchen weit sind. Gleichzeitig achten junge Leute nach Einschätzung von Sommer stärker auf eine gute Work-Life-Balance, was zu einem personellen Mehrbedarf führen könnte. »Es wird diskutiert, dass für jeden scheidenden Arzt 1,5 neue nachkommen müssen, damit die Arbeit so ausgefüllt werden kann«, sagt Sommer. Doch einen Nachfolger zu finden, ist auf dem Land oft nicht so einfach.

Hausärzte im Vogelsberg: Junge Mediziner wollen nicht aufs Land

Damit dieser Umstand nicht zu einer Verschlechterung der ärztlichen Versorgung führt, wird immer wieder über eine Landarztquote diskutiert, wie sie etwa Bayern oder Nordrhein-Westfalen bereits eingeführt haben. Diese sieht vor, dass ein Teil der Studienplätze an Bewerber vergeben wird, die sich dazu verpflichten, mehrere Jahre lang in einer ländlichen Region mit Bedarf zu arbeiten. In Hessen hat sich die Ärztekammer dagegen ausgesprochen. Angesichts einer so langen Aus- und Weiterbildungszeit sei eine so frühzeitige Festlegung und Selbstverpflichtung »realitätsfern«.

Diese Bedenken teilt Sommer zum Teil. »Ich weiß nicht, wie juristisch stabil so ein Konstrukt ist«, sagt sie. Prinzipiell halte sie eine solche Regel jedoch für sinnvoll, um jungen Interessenten eine entsprechende Möglichkeit zu geben. Allerdings, so die Mitarbeiterin der »Praxis an der Ohm«, sei das Problem sehr vielschichtig und nicht mit einer einzelnen Maßnahme zu lösen. »Von 2012 bis 2018 habe ich an der Uni Marburg gearbeitet und geholfen, das Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin aufzubauen«, erzählt die Allgemeinmedizinerin. In dieser Zeit habe sie sehr viele junge Menschen kennengelernt - und es sei viel darüber diskutiert worden, was nötig ist, damit diese aufs Land ziehen. Sommers Fazit: »Das ist sehr verschieden und sehr diffizil.«

Diskutiert wird meist über Themen wie den ÖPNV, Kitas, Schulen, Wohnraum und Freizeitmöglichkeiten vor Ort. »Ich kann nicht sagen, was ausschlaggebend ist«, sagt Sommer. »Was ich aber sagen kann, ist, dass die meisten jungen Leute lieber in einer Gemeinschaftspraxis arbeiten wollen als in einer Einzelpraxis.« Zudem sei es für viele keine Option, sich direkt nach dem Studium selbstständig zu machen. Stattdessen sei zunächst eine Anstellung gewünscht.

Hausärzte im Vogelsberg: „Viele durch Praxis schleusen, bis einer bleibt“

Dabei könnten etwa Regresszahlungen eine Rolle spielen, mit denen Hausärzte rechnen müssen, wenn sie wiederholt aufgrund überdurchschnittlicher Verordnungskosten auffallen und diese aus Sicht der Krankenkassen nicht mit »Praxisbesonderheiten« erklären können. »Das System ist krank und kann davor abschrecken, in die Niederlassung zu gehen«, sagt Sommer. Schließlich hafte man mit seinem Privatvermögen. Zudem wünscht sie sich weniger Bürokratie, »um einen Beruf, der attraktiv ist, noch attraktiver zu machen«. Sich nicht abschrecken lassen, sondern an einer Veränderung mitwirken, lautet ihr Appell an junge Mediziner.

Auch die strikte Koppelung des Studiums an den Numerus clausus hält Sommer nicht für den richtigen Weg, da er motivierten Leuten die Chance auf den Job nimmt. »Kinder von Kollegen, die richtig Lust auf den Beruf des Allgemeinmediziners haben, studieren in Wien, Budapest und sonst wo auf der Welt«, sagt sie. Dabei habe sich gezeigt, dass Menschen, die per Losverfahren einen Studienplatz ergattert hätten, genauso gute Mediziner sein könnten. »Ich bezweifle, dass einen guten Mediziner nur ausmacht, dass er ein 1,1er Abitur hat.«

Um junge Mediziner aufs Land zu bekommen, ist es laut Sommer vor allem wichtig, sie bereits »im Studium abzuholen«, also sich etwa als Ausbildungspraxis bei der Uni zu registrieren und Blockpraktika und Famulaturen anzubieten. »Man wird viele durch seine Praxis schleusen müssen, bis einer bleibt«, sagt sie. »Aber umso mehr junge Menschen in den Vogelsberg kommen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der eine oder andere hängen bleibt.«

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