1. Gießener Allgemeine
  2. Vogelsbergkreis

Weniger Zeit für die kleinen Patienten

Erstellt:

Kommentare

Gießen (chh). Vor der Kinder- und Jugendarztpraxis in der Marburger Straße haben sich diese Woche lange Schlangen gebildet. Mal wieder. Vor den anderen Praxen im Stadtgebiet, die Jungen und Mädchen versorgen, sieht es meist nicht anders aus. Das hat viele Gründe, vor allem aber liegt es daran, dass aktuell eine heftige Grippewelle und der sprunghafte Anstieg der Infektionen mit dem RS-Virus zusammentreffen.

»Wir sind am Limit«, sagt Kinderarzt Christoffer Krug. Das gilt nicht nur für die Arbeit in seiner Praxis, sondern auch für seine Schichten, die er regelmäßig im kinderärztlichen Bereitschaftsdienst ableistet, der in Räumen der Uniklinik angesiedelt ist. Dieses Angebot soll nun aber zurückgefahren werden.

»Wie im gesamten Gesundheitswesen, machen der Fachkräftemangel und die Überlastung der medizinischen Fachkräfte auch vor dem ambulanten Sektor nicht halt. Daher sehen wir uns gezwungen, Öffnungszeiten an die Verfügbarkeit und (Kraft-)Ressourcen des Personals anzupassen«, erklärt Eckhard Starke, das zuständige Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KV).

Er sei sich bewusst, dass diese Entscheidung angesichts der Versorgungssituation und aktueller Infektionswelle gerade von Kindern und Jugendlichen schwierig sei. »Aber wir beugen so dem Kollaps der Versorgungsstrukturen im Ärztlichen Bereitschaftsdienst vor.« Selbstverständlich würden Kinder und Jugendliche auch im allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst medizinisch bestens versorgt, der ÄBD sei zudem weiterhin täglich unter der Hotline 116117 erreichbar. Allerdings müssen die Anrufer hier teils mit sehr langen Wartezeiten rechnen.

Kliniken fürchten Überlastung

Die Maßnahme der KV sorgt bei einigen Eltern für Kopfschütteln. Aber auch die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG) kritisiert die Verkürzung der Öffnungszeiten. Dadurch werde »mit zusätzlichen Engpässen und verlängerten Wartezeiten in den Notaufnahmen der Kliniken zu rechnen sein«, sagt der Geschäftsführende Direktor der HKG, Steffen Gramminger, der Nachrichtenagentur dpa.

Die Argumente der KV seien zwar nachvollziehbar, »aber in einer Zeit die Versorgung einzuschränken, wenn sie am nötigsten ist, ist in der Tat grotesk«. Dadurch würden die Krankenhäuser zusätzlich mit Kindern belastet, die eigentlich im ambulanten Bereich behandelt werden könnten und sollten. Die Situation zeige erneut, »dass auch die ambulante Versorgung ohne Krankenhaus nicht funktioniert und die Kliniken als letzte Auffangstation und Rückgrat der Versorgung fungieren müssen«.

Auch dem stellvertretenden geschäftsführenden Oberarzt der Kinderklinik am Universitätsklinikum Gießen/Marburg (UKGM), Clemens Kamrath, bereitet die Entwicklung Sorgen. »Ich habe erst heute Morgen aus der Zeitung davon erfahren, uns wurde diesbezüglich nichts mitgeteilt. Natürlich ist es so, dass es durch jedes Kind, das zusätzlich bei uns vorgestellt wird, zu einer Überlastung kommen kann«, sagt Kammrath und fügt an: »Wir sind bei der Kapazität an der Grenze.«

Der Mediziner hat vor einigen Tagen gegenüber dieser Zeitung bereits betont, dass die Lage in der Kinderklinik am UKGM wegen der vielen Atemwegserkrankungen angespannt sei. Gleichzeitig versicherte er, dass jedes Kind, das medizinisch versorgt werden müsse, auch versorgt werde.

Kinderarzt Krug kann die Sorgen der Krankenhäuser nachvollziehen. »Natürlich ist es so, dass das Problem auf die Schultern der Klinken verlagert wird. Ich kann auch Eltern verstehen, die diese Verkürzung in der aktuellen Zeit kritisch sehen.«

Auf der anderen Seite weiß der Gießener Kinderarzt nur zu gut, wie heftig die Belastung für die Mediziner während der Schichten ist. Säuglinge zum Beispiel, die unter dem RS-Virus leiden, müssen sehr aufwendig auch mit Sauerstoff versorgt werden, was viel Zeit und Betreuung erfordert. Und auch die weniger schlimm erkrankten Kinder hätten natürlich das Recht auf eine gute Versorgung, die Zeit in Anspruch nehme. »Die Zahl der jungen Patienten, die momentan zu uns in den ÄBD kommen, ist extrem gestiegen«, sagt Krug und spricht von regelrechten Busladungen. Das führe dazu, dass die Mediziner trotz offiziellem Ende um 20 Uhr nicht selten erst nach Mitternacht den Heimweg antreten könnten.

»Vermutlich ist der Ansturm vor dem Weihnachtswochenende, an dem die Kinderarztpraxen geschlossen haben, besonders groß«, sagt der Kinderarzt.

Auch interessant

Kommentare