Weltklasse mit kleinen Pfeilen

Lautlos fliegt der Pfeil auf das Bull’s Eye zu. Der rote Kreis im Zentrum einer Dartscheibe beschert dem Spieler bei einem Treffer 50 Punkte. An der Abwurflinie steht Sandro Baumann aus Ober-Ohmen. Auf den eher ungewöhnlichen Sport kam er als Folge einer schweren Erkrankung.
Der 31-jährige Sandro Baumann hat im September letzten Jahres mit dem Team Germany 2 an der Paradart-Weltmeisterschaft in Schottland teilgenommen. Das Nationalteam war in Edinburgh erfolgreich und holte sich in seiner Klasse die Silbermedaille. Zum Paradart kam Baumann durch seine körperliche Beeinträchtigung infolge einer schweren Erkrankung sowie einer späteren Sportverletzung.
Im Alter von sechs Monaten wurde bei ihm eine Hirnhautentzündung diagnostiziert und behandelt. Die Schwerhörigkeit als Folge erkannte man zunächst nicht. Erst im Kindergarten, als Baumann etwa fünf Jahre alt war, deuteten erste Anzeichen darauf hin. »Wenn ich gerufen wurde, reagierten alle anderen Kinder, nur ich spielte weiter«, verrät der Fachangestellte für Arbeitsförderung im Gespräch mit dieser Zeitung.
Seit der Geburt wohnt Baumann in Ober-Ohmen, besuchte dort und in Nieder-Ohmen die Schule. Danach absolvierte er seine Ausbildung bei der Agentur für Arbeit. Als Fußballspieler jagte er beim TSV Ober-Ohmen dem runden Leder nach. 2015 erlitt er dabei einen Kreuzbandriss und konnte nicht mehr spielen.
Im Gartenhaus hängte er eine Dartscheibe auf und beschäftigte sich damit. »Das lief gut«, erinnert sich der Darter und Freunde rieten ihm, zum TSV Groß-Eichen zu gehen. Dort hat man mit acht Spielern angefangen, Dart zu spielen, heute kämpfen 36 Aktive in drei Mannschaften um Punkte. Baumann ist stolz darauf, seit 2015 nur drei Pflichtspiele verpasst zu haben.
Der damalige Abteilungsleiter Dirk Sievert ermunterte ihn, sich an den Ranglistenturnieren zu beteiligen. Somit wurde auch Gaby Werth als Beauftragte der WDDA (World Dart Disability Association) und WPD (World Paradart) auf ihn aufmerksam.
Werth darf in ihrer Funktion Nationalteams für Deutschland aufstellen. Der Ober-Ohmener nahm an den Ausscheidungen teil und wurde nominiert.
Zweimal pro Woche trainiert Baumann in Groß-Eichen, zusätzlich steht er an der Dartscheibe in seinem Wohnzimmer. Augenzwinkernd erklärt der Sportler, dass der Teamname »Mighty Mosquitos« eine abgewandelte Form für die Heimatgemeinde Mücke darstellt.
Im Einzel erreichte Baumann in Schottland den neunten Rang. Gespielt wird 501, dies ist die vorgegebene Punktzahl, von der abgezählt wird. Deshalb, so verrät der Vogelsberger, sind neben Treffsicherheit auch Taktik und Mathematik gefragt.
Man müsse genau rechnen, um erfolgreich zu sein, denn der innere Ring der Dartscheibe, der Triple-Ring, beschert bei einem entsprechenden Treffer bis zu 60 Punkte. Am Ende müsse man bei null angelangt sein.
Tolle Menschen und eine intakte Gemeinschaft sind für Baumann bleibende Eindrücke der Weltmeisterschaft. Manche hätten sich erst auf der Anreise kennengelernt, führt er aus. Ein tragisches Schicksal beeinträchtigte später die Freude. Ein Spieler, der bei der WM dabei war, sei an Krebs erkrankt. Gerne wollte er die bevorstehende Geburt seines Sohnes erleben. Dies war ihm nicht gegönnt, er starb zwei Tage zuvor. Auch dabei zeigte sich der großartige Zusammenhalt, so Baumann. Der WPD-Verband habe ein Gedenk-Turnier organisiert, um die Angehörigen zu unterstützen.
Ein weiteres Problem schneidet im Gespräch ebenfalls Baumann an. Die Darter müssen die Kosten selbst tragen. Für Spieler, die in Behindertenwerkstätten nicht viel Geld verdienen, erweist sich dies als schwierig. Deshalb wirbt er auch im heimischen Umkreis um Sponsoren.
In seinem Heimatdorf unterstützt Baumann gerne weiterhin den Sportverein als Mitglied. Zudem ist er im Vorstand der Grill- und Wanderfreunde aktiv.
Und er macht weiter: Im Oktober findet die Paradart-Europameisterschaft in Zypern statt. Baumann hofft auf eine erneute Nominierung, mit Rang zwei in den Ausscheidungsturnieren sieht es derzeit sehr gut aus.