Ehemaliger Selbstversorger beliefert heute 110 Haushalte mit Gemüse

Vor ein paar Jahren hat Linus Keutzer damit begonnen, Gemüse für seine Familie anzubauen. Inzwischen versorgt er jede Woche über 100 Haushalte rund um Lauterbach und kann davon gut leben. Da er »Market Gardening« für ein Modell mit Zukunftscharakter hält, will er andere Leute dazu ermutigen, in die Selbstversorgung einzusteigen oder gar eine Gemüsegärtnerei zu eröffnen.
Lauterbach – Auf rund 2000 Quadratmetern baut Linus Keutzer im Lauterbacher Stadtteil Frischborn Gemüse an - und zwar hauptberuflich. »Viele denken, das ist ein Hobby, aber man kann gut davon leben«, sagt der 39-Jährige, während seine Tochter mit seiner Mitarbeiterin durch das selbstgebaute Gewächshaus schlendert und frische Tomaten direkt vom Strauch in den Mund wandern. Keutzer deutet auf die umliegenden Beete. »Ich bekomme mehr raus als jemand der auf 100 Hektar Getreide anbaut«, betont er.
Die Idee, die hinter »Keutzer’s Gartengemüse« steht, nennt sich »Market Gardening« - und meint, dass man auf einer kleinen Fläche möglichst viel Gemüse anbaut und effektiv wirtschaftet. Im Deutschen spricht man bisweilen auch vom biointensiven Gemüseanbau, denn statt auf Düngemittel und Maschineneinsatz wird auf Handarbeit und Bodenaufbau nach den Prinzipien der Permakultur gesetzt. Zudem lautet die Devise: Abfall vermeiden und Direktvermarkung statt langer Transportwege.
Für Keutzer ist das »Market Gardening« zum Steckenpferd geworden. »Ich habe viel gemacht, aber es war alles nicht so zufriedenstellend«, sagt der 39-Jährige, der nach einem Lehramtsexamen sowie Tätigkeiten in der Werbebranche und in der Unternehmenskommunikation zuletzt in der Altenpflege tätig war, um »etwas richtiges« zu machen, wie er sagt. Dann folgte 2013 der Hauskauf und damit der Einstieg ins Gärtnern.
Selbstversorger aus Lauterbach macht jetzt „Market Gardening“
»Wir hatten ein bisschen Gartenfläche ums Haus und ich habe die ersten Hochbeete gebaut«, erzählt Keutzer rückblickend. Damals sei es sein Ziel gewesen, seine Familie mit selbstangebautem Obst und Gemüse zu versorgen. Einkochen, Fermentieren, Trocknen - auch die Haltbarmachung der Ernte begann ihn zu interessieren. Bald kam ein Grundstück hinzu. »2018 hatte ich so viel Ernte, dass ich auch Kollegen und Bekannte versorgt habe, die es wertgeschätzt haben«, sagt er. »Das waren ganze Kisten voll.«
Die Frage »Was kriegst du denn dafür?« wehrte Keutzer damals ab. »Aber irgendwann habe ich mir überlegt, wenn ich so viel Gemüse anbaue, kann ich vielleicht Stunden reduzieren«, sagt der damalige Altenpfleger, der 2019 einer befreundeten Hebamme von der Idee erzählte. »Die hat an ihren E-Mail-Verteiler geschrieben und drei Tage später hatten sich 25 Leute gemeldet, die Interesse hatten.«
Vom Selbstversorger zum Direktvermarkter für Lauterbach: „Will nicht, dass es noch größer wird“
Inzwischen beliefert der Pädagoge, der vor eineinhalb Jahren seinen Job in der Altenpflege an den Nagel gehängt hat, jede Woche 110 Haushalte mit einer saisionalen Gemüsekiste und beschäftigt sogar eine feste Mitarbeiterin. Wahrscheinlich könne er sogar ein Vielfaches verkaufen, sagt er. »Aber ich will eigentlich nicht, dass es noch größer wird.«
Stattdessen will Keutzer sein Wissen weitergeben und andere Menschen ermutigen, ebenfalls als Selbstversorger Gemüse anzubauen - oder gar eine eigene Gärtnerei nach dem Konzept des Marketing aufzubauen. In Blogbeiträgen, Podcast-Folgen, Büchern, Seminaren informiert er dazu und geht auch auf bürokratische Dinge ein, zu denen er damals nur mühsam Informationen gefunden hat. »Ich war oft davor aufzugeben«, sagt Keutzer. Nun wolle er andere an diesen Punkten unterstützen. Dabei ist Keutzer in die »Social-Media-Welt« eher so eingerutscht. Instagram habe er heruntergeladen, um alles zu dokumentieren und seine Fotos zu ordnen, sagt er. Dabei habe ihm das quadratische Format der Bilder zugesagt. »Als ein halbes Jahr später plötzlich jemand ein Foto von mir kommentiert hat, wusste ich gar nicht, was das soll«, sagt Keutzer und lacht. Doch schließlich habe sich online ein toller Austausch entwickelt. »Ohne Instagram hätte ich das alles wahrscheinlich nicht durchgezogen«, sagt der 39-Jährige, dessen Seite »vom_garten_leben« inzwischen über 11 000 Abonnenten hat. »Ich war einer der ersten in diesem Bereich«, sagt er. »Und ab einer gewissen Reichweite läuft das von selbst.«
Nachhaltigkeit motiviert: Unternehmer aus Lauterbach sieht in „Market Gardenig“ die Zukunft
Das, was Keutzer dazu motiviert, das Konzept weiterzuverbreiten, sind Überlegungen zum Thema Nachhaltigkeit. »Dahinter steht auch die Frage: Wie kann man langfristig 10 Milliarden Menschen ernähren?«, sagt der 39-Jährige, der hier im »Market Gardenig« ein zukunftsträchtiges Modell sieht. »Raus aus der Wachstumsfalle und kleiner und dadurch wirtschaftlich effektiver werden«, lautet sein Credo. »Ich denke, dahin könnte langfristig auch der Weg der Landwirtschaft führen.«
Der Schlüssel zum erfolgreichen Wirtschaften liegt laut Keutzer in der Direktvermarktung. »In die Landwirtschaft wird viel mehr Energie gesteckt als man rausholt«, sagt er. Durch die Einsparung von Müll und den Verzicht auf lange Transportwege sei das »Market Gardening« effektiver. Außerdem ist man wegen der Vielzahl an Kulturen Schädlingen oder Pilzen nicht so ausgeliefert. »Wir haben in jedem Beet drei bis vier Sorten hintereinander und kommen auf 60 Kulturen«, sagt er. »Das macht es stabiler.« (Lena Karber)
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