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Vegane Leberwurst für Lützerath

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Aus dem Gasthaus Jakob ist in Dannenrod das »Gäst_innennhaus« geworden. Eine Gruppe junger Leute, die gegen den Autobahnbau gekämpft haben, willl es kaufen, wenn die Spendensammlung erfolgreich abgeschlossen ist. © Red

Es ist ruhig geworden in Dannenrod, wo vor über einem Jahr der Widerstand gegen den Ausbau der Autobahn 49 seinen Höhepunkt erreichte. Ein ständiges Kommen und Gehen herrschte seinerzeit. Die Leute in der Küche für alle (Küfa) hantierten mit riesigen Töpfen, um die vielen Menschen satt zu bekommen. Ein paar sind geblieben. Wie geht es ihnen heute?

Das Zelt ist längst abgebaut, die Küche befindet sich jetzt in einem festen Gebäude. Die Töpfe sind kleiner geworden. Das Gelände wirkt aufgeräumter. Aus dem Provisorium ist eine feste Einrichtung geworden: Das Klimacamp in Dannenrod mit dem »Gäst_innenhaus Jakob« als Kernstück.

Ein im vergangenen Sommer gegründeter Verein hat den lange als Gasthof genutzten Hof gemietet. Im Moment läuft eine Spendenkampagne mit dem Ziel, das Gebäude zu kaufen. »Transformation, Revolution, Klimagerechtigkeit - alles muss Mensch selber machen«, lautet das Motto.

Der junge Mann mit den Locken nennt sich Zeder. Er sitzt auf einer Couch, nippt an seinem Kaffee mit einem Schuss Reisdrink. Zeder klärt die Besucherin auf, wie es zum Wort Gäst_innenhaus kam. Jede und jede sind willkommen, sagt er. Das Haus steht für alle offen als Ort der politischen Auseinandersetzung und der Regeneration. Die deutsche Sprache kennt dafür kein Wort. Also gilt es, eins zu kreieren.

Neu denken, neue Begriffe finden ist hier Konzept. Hierarchiearm und achtsam zusammenleben, den ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich halten. Wissen weitergeben. Teilen statt besitzen. Zeders politische Bücher stehen mit vielen anderen in der Gemeinschaftsbibliothek.

Er freut sich, dass er endlich einen geeigneten Platz für sie gefunden hat: »Jetzt lesen sie auch andere und ich kann mit jemandem diskutieren.« Wo einst der Ausschank stattfand, liegen Flyer und Infomaterial. Im Raum daneben gibt es eine Ausstellung mit Fotos aus dem Widerstand.

Auch Zeder hat während der Räumung Bilder gemacht, die er hier zeigt. Der große Tisch in einem der Scheunenräume bietet Platz zum Diskutieren. Der tägliche Fixpunkt ist das Abendessen - wie bei einer Familie.

Am frühen Nachmittag haben sich ein paar Leute in die Zimmer des früheren Gasthofs zurückgezogen, um zu studieren oder sich auszuruhen. In der Küche diskutieren ein Mann und eine Frau Organisatorisches. Es gibt so viel zu tun, sagt Zeder. Etwa in der Werkstatt, die als Repaircafé dient. Oder auf dem Heuboden, dem großen Schlafsaal. Im Moment wohnen dort Katzenbabys. Vielleicht fährt er nach Lützerath, um sich dem Widerstand der vom Tagebau bedrohten Dörfer anzuschließen.

Ein paar Schritte weiter Richtung Bauzaun, hinter dem sich die gerodete Trasse ausbreitet: Auf einer der einstigen Campwiesen ist der »Jungle Naturgarten« entstanden - ein Gartenprojekt zum Ausprobieren. Auf einer anderen Wiese stehen einige Wohnmobile und trotz der kühlen Temperaturen sogar zwei Zelte.

Jemand, der den Widerstand von Anfang an begleitet hat, ist Christa Seim aus Maulbach. Sie hat seither auch den kontinuierlichen Wandel des früheren Gasthauses Jakob miterlebt. »Die von Anbeginn in der Regel vorurteilsfreie Zusammenarbeit ist geblieben, auch wenn alle Beteiligten aus ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten kommen,« sagt Seim. Aus dieser Vielfalt würden sich für die Weiterentwicklung des Projektes »Gäst_innenhaus« viele Chancen ergeben. Seim: »Ich vertraue dem Mut und der Kreativität der dort lebenden jungen Menschen. Ich bewundere ihre Entschlossenheit und ihre Ausdauer, für längst überfällige Veränderungen zu kämpfen, sie beschämen mich in meiner eigenen Trägheit und manchem inkonsequenten Verhalten. Sie haben weiterhin unsere Unterstützung verdient«.

Jeder trage Verantwortung für den individuellen Beitrag, den Klimawandel und die Umweltzerstörung aufzuhalten. »Erschreckend ist die Ignoranz mancher lokaler Politiker und Bürgermeister, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen«.

Im »Gäst_innenhaus« verfolgt Seim mit Interesse und Neugier die Nutzung und Umgestaltung der Räume mit dem Ziel, ein tragfähiges zukunftsfähiges Konzept zu entwickeln. Unter anderem ist eine Bibliothek als Grundlage für politische und gesellschaftliche Bildung im Aufbau, ein Lebensmittelladen ist angedacht.

Auch werden Workshops angeboten, Menschen aus der Bevölkerung sind eingeladen, aktiv mitzuwirken.

Spannend sei auch die Entwicklung und Nutzung der einen Hektar großen, angepachteten landwirtschaftlichen Fläche, die im ersten Schritt der Selbstversorgung diente und künftig einer nachhaltigen Nutzung und als Experimentierfläche für Interessierte nach individuellen Vorstellungen gestaltet werden kann. Wenngleich sich die Formen des Widerstandes verändert haben, die Vielfalt und die Bandbreite der Unterstützung der Verkehrswende sei auf viele Orte ausgebreitet worden, meint Seim.

Ein kleines Beispiel sei die Produktion veganer Leberwurst für die Besetzung in Lützerath im großen Stil. Ein Beitrag zur Selbstversorgung ist weiterhin das Containern, um ein Zeichen gegen verschwenderischen Konsum zu setzen. Und für das neue Jahr stünden viele Wünsche und Ideen im Raum.

Seim: »Es ist auf jeden Fall eine Bereicherung für den ländlichen Raum«.

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