Vor 100 Jahren zog »Luxus« ein

Ulrichstein-Unter-Seibertenrod (sf). Die Vereinsgemeinschaft mit Ortsvorsteher Wolfgang Geiß nahm sich zwei Tage Zeit, um ein schönes Erinnerungsfest zu feiern. In der Kulturellen Mitte begrüßte Ortsvorsteher Wolfgang Geiß die vielen Gäste und Besucher sowie Wassermeister Jan Utes, von der OVAG Markus Horst und Dr. Hans-Otto Wack von der Schutzgemeinschaft Vogelsberg.
An erster Stelle des Festabends stand die 100-jährige Entstehungsgeschichte der Wasserversorgung in Unter-Seibertenrod, und hier fügt sich auch die Geschichte des elektrischen Lichts an. Ortsvorsteher Wolfgang Geiß zitierte aus der Dorfchronik, welche von Heinrich und Martin Bast zusammengetragen wurde und die 1948 erschienen ist. 1921 war die Wasserleitung gebaut worden. Die außergewöhnliche Dürre des Jahres gab die Veranlassung dazu.
Die Baukosten, die sich auf 365 000 Mark (Inflation) veranschlagt waren, sollten durch Holzverkäufe aus dem Eichwald gedeckt werden. Angefangen wurde mit dem Bau des Hochbehälters im August 1921. Beendet wurde der gesamt Wasserleitungsbau im April 1922. Das gesamte Ortsnetz umfasste eine Länge von 1,5 Kilometern und befand sich in schwierigem Gelände, so Wolfgang Geiß. Nach acht Monaten Bauzeit lief das Wasser in jedem Haus und in jedem Stall. Geiß merkte an, dass er stark bezweifele, dass dies in der heutigen Zeit - trotz Technik und Maschinen - möglich wäre. Bekannt sei nicht, ob Männer aus der Region oder italienische Gastarbeiter vor Ort waren. Der Großvater des Ortsvorstehers hatte als junger Mann beim Bau der Wasserleitung mitgearbeitet.
Vorher musste das Wasser, das für Haus und Garten sowie das Vieh benötigt wurde, mit Blecheimern und Joch aus dem Dorfbrunnen nach Hause getragen werden.
In den 60er Jahren wurde dann, vermutlich wegen Wassermangels und steigenden Bedarfs oberhalb des Dorfes, an der Ohm ein neuer Brunnen gebohrt. In 38 Metern Tiefe wurde man fündig, und von dort an wurde der Hochbehälter am Hemmberg mit diesem Wasser gespeist, zudem wurden 15 Wiesen und Weiden mit Tränkstationen ausgestattet.
1922 wurden auch Stromleitungen verlegt. »Eingeschaltet wurde das Licht zu Weihnachten am 22.12.1922«, heißt es im Archiv. Das Dorf entwickelte sich weiter und es gab wieder Nöte. Im August 1982 gab es einen großen Scheunenbrand. Das Wasser im Hochbehälter war schnell verbraucht. Bei der Wasserversorgung musste sich etwas ändern. So hat die Stadt in den Jahren 1987-1990 eine neue Fallleitung vom Hochbehälter Ober-Seibertenrod nach Unter-Seibertenrod verlegen lassen. Der Hochbehälter in Ober-Seibertenrod wird wechselseitig von beiden Ortsbrunnen versorgt. Zur gleichen Zeit wurde die Kanalisation komplett saniert und die fast 70 Jahre alte Wasserleitung ausgetauscht. Zudem wurde die Kläranlage gebaut und 1989 eingeweiht. Die Gesamtsumme aller Maßnahmen in diesen vier Jahren belief sich auf 5,5, Millionen DM. Mit Stolz sagte Ortsvorsteher Geiß, dass lediglich 1,1 Millionen DM aus dem Stadtsäckel bezahlt werden mussten.
75 Jahre Land Hessen, 675 Jahre Stadt Ulrichstein und 50 Jahre Großgemeinde, diese Jubiläen liegen auch an. Damals bei der Gebietsreform sei um die Dörfer regelrecht gefeilscht und gerungen worden, um diese auf die eine oder andere Seite zu ziehen. »Ein Dorf war wohl für Ulrichstein und Schotten höchst interessant, und es gab Werbebesuche von beiden Seiten.« Von regelrechten Saufgelagen war die Rede, und seitens der Werber floss auch Geld. Denn das Dorf hatte reichlich Waldbesitz, der in dieser Zeit noch für stabile Einnahmen für die Gemeindekasse sorgte.
Heute nach 50 Jahren, so Wolfgang Geiß, »muss man sich fragen, ob es nicht wieder an der Zeit ist, die Strukturen zu überarbeiten«. Kommunen mit 2500 oder 3000 Einwohnern könnten kaum noch ihre Existenz bestreiten.
Dr. Hans Otto Wack kennt sich mit Wasser und Grundwasser aus. Anschaulich sensibilisierte er die Gäste zum Thema knapper werdendes Trinkwasser und die Gründe dafür. Um die Zusammenhänge zu verdeutlichen, ging er auf den Wasserkreislauf ein und skizzierte die Veränderungen, die durch den Klimawandel schon jetzt sichtbar und spürbar werden: »Wir haben durch die steigenden Temperaturen einen höheren Wassergehalt in der Luft. Dies führt zu den bekannten Starkregenereignissen. Der Vogelsberg ist hier ein Spiegelbild der weltweiten Misere«, so Dr. Wack, und er kam zum kritischen Punkt: »Die durchschnittlichen Jahresniederschläge sagen nichts mehr über die tatsächliche Grundwasserneubildung aus.«
Mahnung zum Wassersparen
Durch weniger Schnee gibt es ebenfalls weniger Grundwasser. Die Winterhalbjahre werden kürzer und die Trockenheit macht den Böden zu schaffen. Diese trocknen manchmal auf zwei Meter in der Tiefe aus und nehmen bei Regen kein Wasser auf. Wack rief jeden dazu auf, selbst Wasser zu sparen.
Die Vereinsgemeinschaft hatte Essen vorbereitet und man lauschte den Klängen der Gruppe »Die Zwei«. Am Sonntag startete man mit einem Gottesdienst am Zeilwald, es gab dann Mittagessen und am Nachmittag Kaffee und Kuchen. Die Feuerwehr hatte Fahrzeuge ausgestellt. Nachmittags gab es Besichtigungstouren zum Hochbehälter.