Studentisches Wohnen wird teurer

Nach mehreren Pandemie-Semestern, die zum großen Teil vor dem heimischen Bildschirm stattfanden, kommen Studierende nun wieder nach Gießen zu ihren Veranstaltungen. Auf dem Wohnungsmarkt der Stadt sorgt dieser Nachholeffekt zu einer noch angespannteren Lage. Trotzdem stehen manche Studierendenwohnungen leer.
Massenbesichtigungen mit über 50 Interessenten in einer Wohnung hat es in Gießen schon vor der Pandemie gegeben: Bezahlbarer Wohnraum ist begehrt, gerade unter Studierenden. Dieses Sommersemester müssen die Studierenden jedoch nicht nur um den Wohnraum buhlen, sondern sich mehr denn je fragen: Kann ich mir diese Wohnung überhaupt leisten? Denn laut einer Auswertung des Moses-Medelssohn-Instituts zusammen mit dem Immoblienportal WG-Gesucht sind die Preise zu Beginn des Sommersemesters merkbar angestiegen.
Während ein durchschnittliches WG-Zimmer vergangenes Jahr noch 337 Euro gekostet hatte, müssen Mietinteressenten jetzt mit 345 Euro rechnen. Nabor Keweloh vom Referat für Wohnen und Soziales, des Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Justus-Liebig-Universität (JLU), vermutet als Ursachen für die Kostensteigerung sowohl den Anstieg der Energiepreise als auch die Rückkehr der Studierenden in die Präsenz-Lehre. Manche Wohnungen scheinen aber auch schlicht unbeliebt zu sein.
Konkurrenz mit Erst-Semestern
»Wir merken auf jeden Fall einen Nachholeffekt«, sagt Keweloh. Während viele Studierende die vergangen Semester nur Online-Veranstaltungen besucht hatten, kehrt die JLU nun zur Präsenz-Lehre zurück. Deswegen suchen jetzt Studierende aus höheren Semestern, die bisher ihr Studium von außerhalb der Universitätsstadt bestritten haben, Wohnungen in der Stadt und konkurrieren dabei mit den neuen Erst-Semestern. Keweloh sagt: »Das sorgt für eine sehr zugespitzte Lage.«
Das Studentenwerk Gießen bietet 2653 Wohnheimplätze speziell für Studierende an, und auch dessen Sprecherin Julia Wintterlin bestätigt den Nachholeffekt: »Tatsächlich ist auch bei uns, nach der Bekanntgabe des Präsenzunterrichts seitens der Hochschule, zum Sommersemester 2022 ein leichter Anstieg der Nachfrage nach Wohnheimplätzen im Vergleich zu vorangegangenen Corona-Semestern zu verzeichnen.«
So habe es - Stand 18. März - 976 Bewerbungen auf freie Wohnheimplätze gegeben. »Allerdings nicht alle für das Sommersemester, sondern auch schon für spätere Zeitpunkte«, sagt Wintterlin.
Der Vorteil der Wohnheimplätze ist für Studierende vor allem der Preis. Während sich die Durchschnitts-WG-Mieten in Gießen laut dem Moses-Medelssohn-Institut mit 345 Euro knapp 20 Euro über der BAföG-Wohnpauschale von 325 Euro befinden, liegen 94 Prozent der Wohnheimplätze preislich unter diesem Betrag, wie Wintterlin sagt. Vollständig ausgelastet sind die Wohnheime aber noch nicht. Wintterlin sagt: »Ganz aktuell liegt unsere Belegungsquote in Gießen bei 83,56 Prozent.« Das liege zum Teil daran, dass manche Wohnungen saniert werden.
Studentenwerk-Sprecherin Eva Mohr sagt aber auch, dass es Wohnungen gebe, die im Moment frei, aber schlicht nicht so beliebt seien. Der Grund dafür könne zum Beispiel die Lage sein. Deswegen habe vermutlich das Wohnheim in der Grünberger Straße noch freie Plätze, erklärt Mohr. »Die Studierenden suchen außerdem vermehrt Einzelappartements.« Einzelzimmer, bei denen man sich eine Küche und oder ein Bad mit anderen teile, seien weniger gefragt und ebenfalls noch frei. »Manche suchen aber auch genau so etwas, weil sie gerne Kontakt zu anderen haben wollen.«
Noch freie Plätze in den Wohnheimen
Auch private Vermieter von studentischem Wohnraum merken den Nachholeffekt. Kai Bülow ist einer der Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Depant Bauträger und sagt: »Die Nachfrage nach klassischen Studenten-Wohnungen ist in diesem Jahr deutlich höher als in den vergangenen zwei Jahren.« Das Unternehmen habe während Corona gemerkt, dass das Studium über Online-Formate abgehalten wird, die keine Präsenz in Gießen erfordern.
Auf die Frage, wann sich der studentische Wohnungsmarkt wieder entspannen wird, verweist Bülow auf Erfahrungen vergangener Jahre. Zu Semesterbeginn kam es zuerst immer zu einer Überschneidung von noch nicht ausgezogenen Studienabsolventen und -anfängern mit den neuen Erstsemestern, die sich in den folgenden Monaten löste. »Hinzu kamen steigende Zahlen von Studienabbrüchen innerhalb der ersten drei Monate.« Diese Effekte können auch dieses Sommersemester wieder zum Tragen kommen.
Der Preisanstieg von acht Euro im vergangenen Jahr für ein WG-Zimmer ist laut dem Moses-Medelssohn-Institut übrigens nicht der höchste in den vergangenen zehn Jahren. Von 2015 (303 Euro) bis 2016 (320 Euro) ist der Preis um 17 Euro gestiegen. Vor neun Jahren (2013) lag der Durchschnittspreis übrigens noch bei 300 Euro. Das enspricht einem Preis-Anstieg von 15 Prozent bis heute.