Streik am Gießener Uniklinikum könnte bis nach gehen

Über 400 Mitarbeiter des Gießener Uniklinikums haben am Mittwoch gestreikt. Währenddessen sorgte sich eine Notfallbesetzung um die Patienten. Heute und morgen soll über die Forderung nach mehr Entlastung wieder verhandelt werden. Verdi teilt zudem mit, den Streik verlängern zu wollen.
Der Haupteingang des Uniklinikums ist von Menschen in Warnwesten umlagert, Patienten und Besucher müssen sich einen Weg durch die Menge bahnen. Manch einer hält sich dabei die Ohren zu, da die Trillerpfeifen die Trommelfelle malträtieren. »Entlastung für alle, sonst gibt’s Krawalle«, skandieren die Demonstranten und machen damit deutlich, warum sie heute hier stehen.
Am Mittwoch haben rund 400 nicht-ärztliche Beschäftigte des Uniklinikums für einen Entlastungstarifvertrag demonstriert und ihre Arbeit niedergelegt. In Marburg sollen es genauso viele gewesen sein. Bereits am Montag sind der Gewerkschaft Verdi zufolge rund 600 Teilnehmer aus den Bereichen Operationen, Anästhesie, Radiologie, Neuroradiologie, Endoskopie sowie der Herzkatheter-Labore an beiden Standorten dem Streikaufruf gefolgt, am Mittwoch stiegen auch die restlichen nicht-ärztlichen Bereiche ein. Laut Verdi-Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm sind dadurch in Gießen bisher 75 Prozent und in Marburg 90 Prozent der Operationen ausgefallen. Im Kern fordern Gewerkschaft und Beschäftigte eine Mindestbesetzung für die Schichten der einzelnen Bereiche. Wird diese unterschritten, sollen die Mitarbeitenden Belastungspunkte sammeln, die in Freizeit abgegolten werden können. Eine Einigung mit dem Arbeitgeber ist bisher noch nicht erzielt worden, am heutigen Donnerstag und am morgigen Freitag soll erneut verhandelt werden. Gleichzeitig kündigt Verdi an, den Streik bis zum 9. April ausweiten zu wollen, sollte der Arbeitgeber vorher nicht einlenken. Der Klinikleitung fehlt dafür »jedes Verständnis«, wie es in einer Mitteilung heißt.
Mir eindrücklichen Worten haben Vertreter der Abteilungen am Mittwoch geschildert, warum ein Tarifvertrag Entlastung, wie er beispielsweise am Uniklinikum Frankfurt seit einiger Zeit gilt, ihrer Meinung nach auch am UKGM bitter nötig ist.
Tini arbeitet seit 2016 als Krankenpflegerin im Herzkatheterlabor. Gerade in diesem sensiblen Bereich sei Personalmangel brandgefährlich, es gehe buchstäblich um Leben und Tod. Jana befindet sich im dritten Jahr ihrer Ausbildung, und in dieser Zeit habe sie wegen der Überlastung »noch nie« nach Lehrbuch pflegen können.
Auch die Physiotherapeutin Annett schilderte die Belastung auf ihrer Station. »Im Moment müssen wir jeden Morgen entscheiden, welche Patienten wir behandeln - und welche nicht. Wir schaffen es nicht, alle Menschen so zu behandeln, wie wir es gerne machen würden, weil wir dafür viel zu wenig Personal haben.«
Viele Operationen fallen aus
Wie sich die Ausweitung des Streiks auf die Abläufe in der Klinik ausgewirkt hat, darüber schweigt das UKGM. Pressesprecher Frank Steibli teilt jedoch mit, dass im Vorfeld weniger dringliche Operationen verschoben worden seien. Laut eines Rundschreibens der Klinikleitung ist es »nur dem großen Einsatz vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UKGM zu verdanken, die nicht dem Streikaufruf von Verdi gefolgt sind, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten zumindest auf einem absoluten Mindestniveau sichergestellt werden konnte. Allerdings unter größter Anstrengung und oft verbunden mit heftigen, schmerzhaften Auseinandersetzungen mit den streikenden Kolleginnen und Kollegen«, heißt es in dem Schreiben. Die Klinikleitung hatte bereits einige Tage zuvor den Streik kritisiert. Es sei »absolut unverantwortlich«, auf diese Weise das Patientenwohl zu gefährden.
Das wollen die streikenden Beschäftigten nicht auf sich sitzen lassen. »Wir zeigen, dass wir nicht verantwortungslos sind, sondern Verantwortung übernehmen, indem wir hier stehen und für eine bessere Patientenversorgung kämpfen«, sagte die Auszubildende Ari am Mittwoch. Verantwortungslos sei es hingegen, Tag für Tag tatenlos mitanzusehen, wie das Patientenwohl gefährdet werde.
Gleichzeitig würden die Streikenden Verantwortung für sich selbst übernehmen, sagte die junge Frau. »Wir wollen schließlich lange in diesem Beruf arbeiten.« Unter den aktuellen Umständen sei das aber nicht möglich.