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Schmerzhafte Einschnitte

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Die evangelische Kirche spart und verändert dabei die Strukturen. So werden Pfarrgemeinden zu Nachbarschaftsräumen zusammengefasst. Einsparungen treffen auch den Vogelsberg, wo Gebäude verkauft werden. Dekanin Seibert sieht darin eine Chance, sich auf das Wesentliche zu besinnen.

Ein Kürzel steht für ein Zukunftsprogramm: »EKHN 2030«, der Name für den Zukunftsprozess der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat sich bereits herumgesprochen. Nicht ohne Grund, handelt es sich doch um die stolze Summe von 140 Millionen Euro, die die Landeskirche bis zum Jahr 2030 einsparen möchte. Strukturelle Veränderungen, an denen die Kirche mit eigens eingerichteten Gremien arbeitet, liegen bei einem solchen Plan auf der Hand. Dass diese Veränderungen sich bis in Propsteien, Dekanate und Kirchengemeinden auswirken, ist zu erwarten. Die Auswirkungen im Kreis beschreibt Traudi Schlitt vom evangelischen Dekanat.

»In den Gremien der Landeskirche wurden verschiedene Arbeitspakete und Querschnittsthemen identifiziert, die nun auf Einsparmöglichkeiten geprüft werden«, erklärt Dekanin Dr. Dorette Seibert. »Hieraus ergeben sich dann Vorschläge, die von der Synode besprochen und vielleicht auch beschlossen werden. Manche Beschlüsse sind auch schon gefasst.« Arbeitspakete sind beispielsweise »Kinder und Jugendliche«, »Medien und Öffentlichkeitsarbeit«, »Pfarrdienst und Verkündigung« oder »Gebäude«.

»Auch die Dekanate und Kirchengemeinden sind von diesen Sparmaßnahmen betroffen«, sagt die Dekanin, »doch gerade die hier zuletzt genannten Arbeitsfelder fallen natürlich ins Auge. Nicht zuletzt, weil unser Dekanat schon seit einigen Jahren Pilotdekanat für die Umsetzung des neuen Gebäudebedarfs- und -entwicklungsgesetzes war.«

Die Instandhaltung und Sanierung ihrer etwa 4500 Gebäude stellt die EKHN gemeinsam mit den Kirchengemeinden vor große Herausforderungen. Gleichzeitig sinken die Mitgliederzahlen, was bedeutet, dass weniger Gebäude benötigt werden. In dem Bedarfs- und Entwicklungsplan sind alle Gebäude und Flächen danach kategorisiert, ob sie »auf Dauer erhalten« oder »bis auf Weiteres erhalten« werden sollen oder »gesamtkirchlich nicht mehr zuweisungberechtigt« sind.

»In erster Linie wird es um die Reduktion von Pfarrhäusern - analog zur Pfarrstellenbemessung - gehen, und um Gemeindehäuser«, erläutert Seibert. Wie sich diese Einsparungen dann konkret im Vogelsberg manifestieren, wird sich frühestens im nächsten Jahr herauskristallisieren. In der Herbstsynode möchte die Versammlung die Bildung von Nachbarschaftsräumen beschließen. »Wir gehen damit weg vom Prinzip des Gemeindepfarrers hin zu Verkündigungsteams aus Pfarrpersonen, Gemeindepädagogen und Kirchenmusikerin«, führt die Dekanin aus.

Die Nachbarschaftsräume umfassen eine gewisse Anzahl an Kirchengemeinden, die sich in einer noch festzulegenden Organisationsstruktur im Sozialraum zusammenfinden. Da sollen Verwaltungen zusammengelegt und der Verkündigungsdienst von multiprofessionellen Teams übernommen werden. Hinzukommt ein gemeinsamer Gebäudebedarfs- und Entwicklungsplan. Ein Beispiel für einen Nachbarschaftsraum ist seit mehr als fünf Jahrzehnten das Gruppenpfarramt.

Diese Veränderung ist zum einen dem Zukunftsprozess geschuldet. Sie hängt zum anderen auch mit dem Mangel an Pfarrerinnen und Pfarrern zusammen, unter dem die Kirchen, und besonders die ländlichen Gemeinden, leiden.

»Derzeit sind bereits ein Viertel der Pfarrstellen in unserem Dekanat vakant«, gibt Seibert an, neue Bewerbungen gebe es kaum. Die Bildung von größeren Räumen und Teams sei also auch aus diesem Grund nötig. »Je nach Zuschnitt der Nachbarschaftsräume, der Schaffung von Verwaltungsbüros und der Sichtung der Versammlungsräume wird sich in jedem Nachbarschaftsraum ergeben, von welchen Gebäuden man sich trennen wird.«

Bereits in der Vergangenheit haben verschiedene Gemeinden die Initiative ergriffen. Gebäude sind verkauft, in Alsfeld wird über eine alternative Nutzung der Dreifaltigkeitskirche nachgedacht (siehe Kasten). Auch die Bildung der Nachbarschaftsräume ist in vollem Gang.

»Welche der weiteren Aspekte der Sparmaßnahmen sich mit den Jahren auch bis in die Gemeinden auswirken, können wir heute noch nicht sagen. Dass es Veränderungen geben wird, ist aber unausweichlich.« Was für viele engagierte Mitglieder der Kirchengemeinden schmerzhaft ist, bedeutet aber auch die Chance zu qualitativer Konzentration und Besinnung auf das Wesentliche, hofft die Dekanin.

Sie sagt: »Wir haben jetzt die Chance zu schauen, was unseren Glauben ausmacht, was wichtig ist und bleiben kann und von was wir uns trennen können. Nicht umsonst wurde für den Prozess das Motto ›Licht und Luft zum Glauben‹ ausgegeben. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Gottes Hilfe und als Menschen, die gemeinsam Kirche gestalten, weiterhin Wege finden, unseren christlichen Glauben zu leben und uns als gesellschaftliche Kraft zu engagieren.«

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Die Kirche in Otterbach ist verkauft, weitere Gebäude sollen folgen. © Red

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