»Gebe uns die Erinnerung an die Opfer Kraft«
Am 9. November 1938 brach die Gewalt gegen Juden in Deutschland offen aus. Dies war Anlass für eine Gedenkveranstaltung am jüdischen Friedhof. Mit »Aus der Tiefe« eröffnete der evangelische Singkreis Nieder-Ohmen die Feierstunde.
Am 9. November 1938 brach die Gewalt gegen Juden in Deutschland offen aus. Dies war Anlass für eine Gedenkveranstaltung am jüdischen Friedhof. Mit »Aus der Tiefe« eröffnete der evangelische Singkreis Nieder-Ohmen die Feierstunde.
Pfarrer Nils Schellhaas und die Konfirmanden wirkten mit und die Teilnehmer entzündeten stellvertretend für die sechs Millionen jüdischer Menschen, die im Holocaust starben, sechs Kerzen. Es wurde gebetet für alle, die durch die Schoah aufgrund ihres Judentums starben, für die, die man gekannt hat und für die, die man nicht kannte, für die, für die es niemanden mehr gibt, der für sie beten könnte und für alle, die Verantwortung für die Zukunft haben. Die Konfirmanden verlasen die Namen der Juden aus Nieder-Ohmen mit früherer Adresse.
Es folgte eine Zeit des Schweigens. In diesem Jahr waren viele Menschen gekommen, um sich zu erinnern und der Feierstunde beizuwohnen. Vor 80 Jahren wurde damit begonnen, in großem Umfang jüdische Menschen zu misshandeln und zu töten sowie Tausende jüdischer Bürger in Konzentrationslager zu verschleppen, erinnerte Pfarrer Nils Schellhaas. »Auch in unseren Orten wurden jüdischen Bewohner und ihre Familien überfallen, eingeschüchtert und misshandelt. Sie wurden vertrieben, sie flüchteten, emigrierten oder wurden ermordet.«
Mitverantwortung der Kirche
Die Tatsache, dass auch die evangelische Kirche bis auf wenige einzelne Stimmen zu den Gewaltexzessen am 9. November 1938 weitgehend geschwiegen hat, ist, so sagt es auch Kirchenpräsident Dr. Volker Jung, »zutiefst schmerzhaft und belastend«.
Der Holocaust habe im Nazi-Regime durchaus sogar auch ausdrückliche Unterstützung durch Teile der evangelischen Kirchen gehabt.
Für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau sei es deshalb heute ein zentraler Bestandteil des Glaubens, Antisemitismus in allen seinen Formen entschieden entgegenzutreten.
Schellhaas erinnerte daran, dass in Yad Vashem, der Holocaustgedenkstätte in Jerusalem, auch der Name Nieder-Ohmen in hebräischer und lateinischer Schrift steht.
Heute müsse man sich angesichts aktueller Tendenzen fragen, ob man wieder von vorn anfangen muss »und Demokratie und Menschenwürde, Völkerrecht und bürgerliches Engagement von vorne ausbuchstabieren?«.
Pfarrer Schellhaas beendete seinen Vortrag mit einem Gebet: Irmgard Gückel von der katholischen Kirchengemeinde und Pfarrer Nils Schellhaas verlasen dann wechselweise unter anderem diese Worte des Gedenkens: »Wir gedenken der sechs Millionen Toten und aller, die starben, als Wahnsinn die Welt regierte und das Böse in der Welt wohnte. Die Welt ist ärmer geworden, und unsere Herzen werden kalt, wenn wir an die großen Dinge denken, die hätten sein können. Um des Leids des jüdischen Volkes und unseres Volkes willen möge eine solche Zeit nie wiederkommen. Möge ihr Opfer nicht umsonst gewesen sein. Nehmen auch wir den täglichen Kampf gegen Grausamkeit und Vorurteile, gegen Tyrannei und Verfolgung auf. Die Erinnerung an die Opfer gebe uns Kraft und leite uns.«
Kranz niedergelegt
Bürgermeister Andreas Sommer erinnerte an das historische Datum und sprach vom Zusammenbruch der Zivilisation im Jahre 1938. Es habe nur einen kleinen und leisen Widerstand gegeben. »Erschreckend war, dass die Täter mitten aus der Gesellschaft kamen.« Gemeinsam mit Ortsvorsteher Jörg Matthias legte er einen Kranz am Gedenkstein nieder.
Mit dem irischen Segenslied »Möge die Straße« klang die Feierstunde am Judenfriedhof aus. Irmgard Gückel dankte den Mitwirkenden für den guten Besuch bei der Feierstunde und den Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr für die dezente Illuminierung des Abends.