»Dann war auf einmal alles voller Blut«
Mücke/Gießen (ks). War es Rache, weil sein Gegenüber ihm schon länger auf die Nerven gegangen war? Oder war es »nur« ein Streit nach einem gemeinsamen Feierabendumtrunk, der eskalierte? Am Ende lag jedenfalls einer der Beteiligten mit schweren Stichverletzungen im Krankenhaus und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
Seit Montag muss sich nun ein 36 Jahre alter slowakischer Staatsbürger vor dem Landgericht Gießen dafür verantworten. Ihm wird versuchter Totschlag vorgeworfen. Die Staatsanwältin sagte, er habe versucht, »einen Menschen zu töten, ohne ein Mörder zu sein«.
Rückblende: Am 23. August 2022 hatte der Angeklagte in einem Mücker Ortsteil mit Arbeitskollegen nach Feierabend gekocht und einiges an Bier und Gin dazu getrunken. Am gleichen Tag hatte er am Telefon mit seiner damaligen Lebensgefährtin und Mutter seiner beiden Kinder gestritten. Es ging um Geld, er sollte mehr zahlen, sagte er vor Gericht, was er aber abgelehnt hatte.
Nach der Arbeit war er mit den Kollgen wie üblich für das Abendessen noch etwas einkaufen gegangen. Die Männer kommen alle aus der Slowakei und wohnen während ihrer Arbeit im hiesigen Forst einige Wochen oder Monate in sogenannten Monteurszimmern, bevor sie wieder für eine bis mehrere Wochen in die Heimat fahren.
Lange nach Messer gesucht
An jenem Abend hatten sich die Bewohner der Unterkunft noch im Keller der Unterkunft zusammengesetzt, weil es dort angenehm kühl war. Das spätere Opfer habe dann damit angefangen, schlecht über einen gemeinsamen Bekannten zu reden.
Der Angeklagte sagte darauf: »Lass das sein, sonst haue ich dir eine rein.« Doch sein Gegenüber habe nicht aufgehört und immer weiter »gestichelt«. Darauf habe er ihn angesprungen, man habe gerauft. Die drum herum sitzenden Männer hätten die beiden dann auseinander gezogen, das spätere Opfer ging nach oben in sein Zimmer. Er selbst habe noch beim Aufräumen geholfen und sei dann auch nach oben in Richtung seines Schlafraums gegangen, so der Angeklagte.
Aus dem Schrank habe er ein Messer genommen, um sich in der Küche Proviant für den nächsten Arbeitstag vorzubereiten. Als er mit dem Messer in den Flur kam, stand dort das spätere Opfer. »Willst du jetzt noch mit dem Messer auf mich losgehen?«, habe der gesagt. Darauf habe er seine Hände gepackt, es gab eine Rauferei, beide fielen zu Boden, »dann sah ich, dass er voller Blut war«. Das Opfer erlitt lebensgefährliche Stichverletzungen in Unterbauch, Darm sowie an Brust und Hals und einen massiven Blutverlust.
Der Kontrahent lief in sein Zimmer, wischte sich mit dem T-Shirt Blut vom eigenen Gesicht, ging dann in den Keller und wieder in sein Zimmer, wo er sich später von der Polizei widerstandslos festnehmen ließ. Einer der Männer, die im Haus wohnen, habe noch gerufen: »Du hast zugestochen!« »Das wollte ich nicht«, habe er geantwortet. Er selbst habe bei der Rauferei einen Faustschlag auf die Nase bekommen.
Die Meldung hatte damals einen Großeinsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst ausgelöst, auch weil die Lage vor Ort nicht gleich ersichtlich war. Polizisten suchten danach tagelang nach der Tatwaffe, einem Messer. Der Angeklagte sagte, er wisse nicht, wo er es am besagten Abend hingelegt hatte. Vor einigen Wochen nun fand sich das Messer im Keller des Hauses unter einem Gartenschlauch.
Jahre im Kinderheim
Der Angeklagte sagte, er könne sich an Details beim Kampf nicht mehr erinnern, »es ging so schnell«. Auf die Frage, warum er das Messer nicht einfach fallen ließ, antwortete er, das frage er sich auch seit nun schon sechs Monaten. Seit der Tat sitzt er in Haft. In der Befragung sagte er noch, er habe geplant, das spätere Opfer wegen Konsum und Besitz von Drogen anzuzeigen, »aber dazu kam es dann ja nicht mehr«.
Ein Zeuge sagte bei der Polizei, der Angeklagte habe Folgendes von sich gegeben: »Der (das spätere Opfer) hat es übertrieben. Wenn er schläft, dann wird er erstochen oder ich werde es morgen mit ihm erledigen.« Der Angeklagte stritt ab, dass er das gesagt habe.
Er erzählte zu seinem Werdegang, dass er mit zehn Jahren in ein Kinderheim kam. Die Eltern hätten sich nicht um ihn und noch fünf Geschwister gekümmert. Nach dem Heim zog er mit 18 Jahren zu einem älteren Bruder. Nach der Schule und einer Maurerlehre arbeitete er unter anderem auf dem Bau, in der Landwirtschaft, in einem VW-Werk und zuletzt im Forst.
Die Verhandlung wird im März fortgesetzt. Dann werden auch Zeugen gehört.