Mit der Natur aufwachsen

Nach den Sommerferien wird es für manche »Waldmücken« Zeit für die Schule. Damit können andere Kinder zwischen drei und sechs Jahren in die Waldgruppe der Kita Merlau wechseln. Die Nachfrage ist hoch.
Blätter rascheln im Wind. Vögel zwitschern. Hinter dem Waldeingang ist eine Lichtung auf der Kinder spielen. »Ich mache Marshmallows«, sagt ein Junge. »Bei mir gibt es Frikadellen«, sagt ein anderer. »Magst du mal probieren?«, fragt er die Erzieherinnen nacheinander. Heute ist Grilltag. Natürlich wird kein echtes Feuer gemacht, das wäre zu gefährlich. Die Kinder verbringen einen ganz gewöhnlichen Morgen im Kindergarten, aber anstatt in einem Gruppenraum, im Wald. Die »Waldmücken« sind die fünfte Gruppe der Kindertagesstätte in Merlau.
Diese wurde im Sommer 2019 als erste Wald-Kita im Vogelsbergkreis eröffnet, um der akuten Nachfrage an Kindergartenplätzen eine kurzfristige Lösung anzubieten. Seitdem hat sich die Gruppe etabliert. »Wir nehmen in der Waldgruppe maximal 20 Kinder auf«, sagt Leiterin Hiltrud Müller. »Wenn es nach den Anmeldungen geht, könnten wir ohne Probleme eine zweite Gruppe aufmachen.« Da wäre die Leiterin direkt dabei. Doch für eine zweite Gruppe wäre ein weiterer Standort nötig.
Die »Waldmücken« werden von vier Erzieherinnen betreut: Kerstin Zebisch, Tanja Schönhals, Melanie Becker und Selina Emmerich. Neben der pädagogischen Ausbildung haben zwei eine Fortbildung zur Waldpädagogin gemacht. Denn im Wald müssen sie auf zusätzliche Gefahren achten. So schauen die Erzieherinnen jeden morgen, bevor sie mit den Kindern die Fläche der Waldmücken betreten, ob alles in Ordnung ist oder Gefahr von oben droht. Wenn alles gut ist, kann der Tag im Wald beginnen.
Zunächst gibt es ein gemeinsames Frühstück auf dem Waldsofa. Das Essen geben die Eltern mit. Eine Küche gibt es im Wald schließlich nicht. Danach können sich die Kinder aussuchen, was sie machen möchten. Heute haben sie gemalt. Das Besondere: Die Farben sind selbst gemacht. »Wir machen die Farben aus den verschiedenen Erden, die es hier gibt«, erklärt Erzieherin Kerstin Zebisch. »So gibt es helle, ›goldene‹ und dunkle Erde. Diese mischen die Kinder mit Wasser und malen anschließend damit.« Das ist nicht das Einzige, was sie selbst machen. Die Erzieherinnen geben viele ihrer Erkenntnisse aus der Fortbildung weiter. So lernen die »Waldmücken« auch, welche Kräuter essbar sind und wie man aus diesen Cremes oder Tinkturen herstellen kann.
»Viele Themen und Ideen kommen von den Kindern«, sagt Zebisch. So habe beispielsweise eines einen Getreidehalm entdeckt. Daraus sei die Idee entstanden, Getreide zu mahlen und selbst Brot zu backen. »Die Kinder lernen hier den Kreislauf des Waldes kennen.« Gebacken haben sie in der Küche des Hauses der »Waldmücken« auf dem Flensunger Hof. Das Häuschen ist der morgendliche Treffpunkt und dient als Ausweichmöglichkeit, wenn etwa durch ein Unwetter der Aufenthalt im Wald nicht möglich ist.
Andere Themen ergeben sich durch Begegnungen. »Wenn Bauern, Jäger oder Förster vorbeischauen, fragen die Kinder, was sie genau machen.« So lernen sie das tägliche Waldleben kennen. Und nicht nur das, durch die Zeit in der freien Natur haben die Drei- bis Sechsjährigen die Möglichkeit, sich draußen auszutoben, aber auch die Sinne sowie die Konzentration zu schärfen, wenn sie den einzelnen Tieren lauschen. »Das Gefüge in der Gruppe ist ein anderes als im Haus. Die Kinder wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind und man zusammen mehr schafft«, führt Zebisch weiter aus.
Auch den Erzieherinnen gefällt die Arbeit im Wald: »Ich bin in der glücklichen Lage, hier arbeiten zu dürfen«, sagt Tanja Schönhals. »Die Arbeit im Haus hat mir auch immer Spaß gemacht, doch ich möchte nicht mehr zurück. Hier ist es eine ganz andere Art zu arbeiten.« Neben den örtlichen Gegebenheiten sei auch die Betreuungssituation eine andere. »Wir haben hier mehr Zeit, um auf die Kinder und ihre Bedürfnisse einzugehen. Wir können jedes Kind im eigenen Tempo abholen. Das ist einfach toll«, sagt Zebisch.
Es wäre schön, wenn auch in gewöhnlichen Kindergärten drei Erzieher auf 20 Kinder kämen, sind sich die Erzieherinnen einig. »Wir möchten unser Konzept gerne nach außen tragen«, sagt Schönhals. »Wer Fragen dazu hat oder sich den Waldkindergarten für das Kind einmal anschauen möchte, kann gerne Kontakt mit uns aufnehmen.«
Die Waldgruppe wird nicht nur von allen Beteiligten gut angenommen, sie sei auch in der Einrichtung weniger kostenintensiv, wie Bürgermeister Andreas Sommer informiert. So habe die Einrichtung der Waldgruppe mit neu gebautem Haus und Plumpsklo - von den Kindern Herzhausen genannt - rund 60 000 Euro gekostet. »Im Vergleich kostet der Bau für eine Gruppe im Haus rund 500 000 Euro.«
Im Gegensatz zur Erweiterung im Haus können mit den Waldkindergärten nur Plätze für die über Dreijährigen abgedeckt werden. Sowohl der Bürgermeister als auch die Leiterin könnten sich vorstellen, zukünftig weitere Gruppen beispielsweise in Ilsdorf oder Nieder-Ohmen zusätzlich zu eröffnen. Politisch sei derzeit noch nichts spruchreif, sagt Sommer. Aktuell werden die Kita-Häuser in Merlau und Groß-Eichen erweitert.