Mehr als waschen und füttern
Die Situation in der Pflege wird seit vielen Jahren beklagt, getan hat sich wenig. Immer mehr Menschen kehren dem Beruf den Rücken, die Corona-Pandemie hat diesen Trend bestärkt. Was bringt junge Menschen dazu, trotzdem diesen Beruf ergreifen zu wollen? Drei von ihnen geben Auskunft.
Kevin Östreich, Chantal Hartwig und Denis Schmidt sind im zweiten Lernjahr an der Vogelsberger Pflegeakademie in Alsfeld. Sie erzählen im Gespräch, was ihnen am Berufsbild Pflege gefällt, wo die Probleme sind und was sie sich von der Politik wünschen würden. Denn: auch wenn das Thema gern verdrängt wird, irgendwann kann es jeden einholen, ob als selbst Betroffener oder Angehöriger.
Warum also Pflege? »Der schönste Moment, den ich bisher erlebt habe, war die Versorgung eines Patienten während meines Aufenthalts auf einer Intensivstation,« erzählt Kevin Östereich. Der Patient war isoliert und vorübergehend in einem Einzelzimmer. »In diesem Zeitraum hatte er Geburtstag und war sehr traurig, dass er keinen Besuch empfangen konnte. Ich sprach sehr oft mit ihm. Er war nach jedem Dienstende den Tränen nahe und bedankte sich so für Aufmerksamkeit. Das brachte mich dazu: Wenn ich beruflich etwas machen möchte, dann soll es die Pflege werden«. Die meisten würden die Arbeit in der Pflege mit ständigen Toilettengängen, Menschen waschen oder Nahrung anreichen verbinden.
Diese Arbeiten gehören dazu, sind aber längst nicht alles. Zurzeit arbeitet Kevin Östreich in der stationären Langzeitpflege im Seniorenzentrum Betzenrod. Die Arbeit mit Senioren sage ihm sehr zu. Die Probleme sind aber nicht von der Hand zu weisen. »Die Corona-Pandemie ist eine hohe physische und psychische Belastung für uns alle«.
Und die Bezahlung? Er wünscht sich, »dass die Vergütung dem tatsächlichen Arbeitspensum, welches in der Pflege herrscht, anpasst.« Der Verdienst wurde mit der Zeit zwar angehoben und es wurden Corona-Prämien verteilt, das spiegele aber nicht die tatsächliche Arbeitsbelastung in der Pflege wider, welche in Deutschland herrscht. »Es fehlt auch sehr an Wertschätzung und einer guten Work-Life-Balance« Auch der Umgang mit immer mehr demenziell erkrankten Menschen ist eine große Herausforderung für die Pflegekräfte. Östreich: »Wer selbst jemanden in der Familie hat, der kann sich ungefähr vorstellen, wie es ist, es mit mehreren Menschen mit diesem Krankheitsbild zu arbeiten. Man muss sich im Klaren sein, dass es eine Krankheit ist und kein bewusstes Verhalten um jemanden gezielt zu ärgern«. Die wichtigsten Komponenten für diesen Job seien eine positive Grundeinstellung zur Tätigkeit und ein gutes Team. »Teamarbeit ist das A und O zum Aufrechterhalten einer optimalen Patientenversorgung. Auch das gegenseitige Helfen untereinander, wie zum Beispiel Dienste von einem Kollegen abzunehmen, um diesen eine Ruhezeit zu ermöglichen«.
Bei Chantal Hartwig kam die Motivation für den Job durch ihre Mutter. »Ich wollte nie in der Pflege arbeiten, weil ich nicht mit Fäkalien in Berührung komlmen wollte. Meine Mutter hat oft versucht mich zu überreden, meistens habe ich Nein gesagt. Bis zu meinem 16. Geburtstag. An dem Tag kam ich das erste Mal mit Pflege in Berührung.
Nach drei Stunden fragte meine Mutter mich, wie es mir gefallen würde. Ich sagte, dass dieser Beruf genau das ist, was ich mein Leben lang machen möchte.« Die Menschen seien so unglaublich dankbar gewesen. Es zähle einfach viel mehr zum Beruf, »als Menschen nur den Hintern sauber machen, das sehen aber viele nicht.« Einfach ist es natürlich trotzdem nicht immer, auf die einzelnen Bedürfnisse einzugehen. »Man versucht es, aber man kann sich nicht zerteilen und das ist oft schwer zu erklären, viele haben ihre gewohnten Rituale und wollen um Punkt 18 Uhr auf dem Zimmer sein, um die Nachrichten zu schauen. Schwierig, wenn man oftmals für 40 Leute nur mit zwei oder drei Leuten steht«.
Sie können nicht einfach streiken
Aber einmal weiter gedacht: »Was wäre, wenn wir niemanden hätten der uns pflegt, wenn wir mal alt sind oder krank?« Was wären wir ohne die Leute, die im Krankenhaus oder in den Pflegeeinrichtungen arbeiten? Und das ist der Punkt, wir können nicht einfach auf die Straße gehen und streiken.« Denis Schmidt ist ebenfalls der Meinung, die Corona-Pandemie habe gezeigt, »wie wichtig alle Pflegekräfte sind und sie hat meinen Wunsch nur noch mehr bestärkt«. Durch die Pandemie sehe man, wie bedeutsam für die Gesellschaft die Arbeit ist und wie sehr man Menschen helfen kann. Auch ihm hatten wie bei den anderen Freunde erst einmal von dieser Berufswahl abgeraten. »Ich kann es nur besser machen, indem ich zeige das die Pflegearbeit sehr viel Schönes hat«.
Was sich alle wünschen: mehr Anerkennung seitens der Politik. »Dass über Maßnahmen nachgedacht wird, wie man die Pflege ein wenig entlastet und das man nicht ständig harte und neue Auflagen bekommt,« sagt Denis.
»Meiner Meinung nach sollte die Aufwertung der Pflegeberufe innerhalb der Gesellschaft intensiver angegangen werden. Der Pflegenotstand in Deutschland ist seit Jahren bekannt und sämtliche Maßnahmen waren nicht von Erfolg gekrönt. Eine Option wäre die Wiedereinführung des Zivildienstes,« regt Chantal an. Alle hoffen jedenfalls, dass »wir mehr Respekt und Wertschätzung bekommen«.
Und zuletzt,aber enorm wichtig: Was verstehen alle drei unter guter Pflege? »Ressourcen fördern und sie erhalten. Den Menschen ein Gefühl von Sicherheit und Familie zu geben, denn oft sind Pfleger das Einzige, was die Menschen noch haben«.