»Keine Prunkbauten errichtet«

Die Ära Lothar Bott endet in Gemünden, nach 18 Jahren übergibt der Bürgermeister das Amt in Kürze an Daniel Müller. Dieser Tage absolvierte er seine letzten Arbeitstage im Rathaus, um dann seinen Rest-Urlaub zu nehmen. Zeit für ein Gespräch über permanenten Geldmangel, Anfeindungen und das richtige Maß an Geduld bei den Projekten der kleinen Gemeinde.
Manche Kollegen von ihnen haben entnervt das Handtuch geworfen. weil sie angefeindet werden. Was haben Sie erlebt?
Das hat sich in den 18 Jahren im Amt in Grenzen gehalten. Der Umgang mit einzelnen Personen ist allerdings schwieriger geworden. Es kommen halt mehr Beleidigungen. So wollte die Feuerwehr mitten in der Corona-Pandemie einen Nikolausumzug mit Bescherung für Kinder machen. Da habe ich gesagt, das müsst ihr absagen. Da gab es schon einige böse Kommentare.
Wenn Sie eine Kurz-Bilanz von 18 Jahren im Amt ziehen müssten, wie sähe die aus?
Wir sind halt Deutschland, hier wird vieles sehr kompliziert gemacht. Wir stehen uns bei manchen Projekten selbst im Weg. Dazu kommt, dass mehr Leute gegen alles sind. Früher konnten manche Sachen noch unkomplizierter gehandelt werden.
Woran denken Sie da?
Nur ein kleines Beispiel: Wir wollen eine neue Brücke für Fußgänger über die Felda bauen, weil die alte nicht mehr standsicher ist. Wir haben dort abgesperrt, aber die Bürger waren nicht einverstanden und haben die Schilder in den Bach geworfen. Dann muss der Bauhof hin und die Schilder wieder aus dem Wasser holen. Das Problem ist, dass da ein Kind ins Wasser fallen und ertrinken kann - das müsste man eigentlich »zurammeln«.
Werden die Menschen immer individualistischer?
Ich sehe eher, dass sich die Menschen nach zwei Jahren Corona danach sehnen, wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. Gerade die Jüngeren sagen, sie wollen sich wieder mit Freunden treffen. Die Menschen dürsten danach.
Kommen wir mal auf die Politik zu sprechen: Ist es eigentlich ein Vorteil für Gemünden, direkt an der Autobahn zu liegen?
Nein, wir sind zwar bald mit zwei Autobahnen gesegnet, können daraus aber keinen Vorteil ziehen. Wir haben hier keine Auffahrt, mit der wir eine Weiterentwicklung der Gemeinde erreichen können. Zwischen den Abfahrten Homberg/Ohm und Alsfeld-West ist eine der längsten Autobahnstrecken ohne Abfahrt von ganz Hessen.
Wie sieht ihre politische Bilanz nach 18 Jahren aus?
Ich habe damals den Bürgern gesagt: Was ich anbieten kann, ist die Erfahrung aus elf Jahren in der Kommunalverwaltung. Im Grunde läuft Kommunalpolitik wie der Bau eines Hauses. Wenn ich für eine Maßnahme nicht genug Geld habe, muss ich sie so lange schieben, bis ich sie mir leisten kann. Mit Eigenleistung kann ich einiges sparen. Die aktiven Bürgerinnen und Bürger sind das Rückgrat für die Entwicklung. Wenn sie anpacken, geht das. Den Eimer Farbe oder die Lkw-Ladung Schotter bekommen wir immer hin.
Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis Ihrer Amtszeit?
In den 18 Jahren haben wir in der Gemeinde keine Prunkbauten errichtet, sondern die Infrastruktur im Blick behalten. In allen Ortsteilen wurde in die Gebäude der Gemeinde investiert, in Gemeinschaftshäuser, Feuerwehrhäuser und Trauerhallen. Nun steht das nächste größere Projekt an mit dem An- und Umbau der Kindertagesstätte. Da hätte ich mir einen deutlich höheren Zuschuss des Landes gewünscht. Wir bekommen leider nur 10 Pozent der Kosten.
Welchen Einfluss hat das Land auf solche Vorhaben?
Man wird gezwungen, die Dinge zu machen, die für das Land politisch wichtig sind. Dafür gibt es Fördergelder, wie für das Programm »100 wilde Bäche«. Aber es fehlt das Geld für die Pflichtaufgaben einer Kommune. So wollten wir eigentlich nur die Fenster in der Kita erneuern und dafür eine Förderung. Doch das ging nicht, weil das kein abgeschlossenes Bauvorhaben war. Deshalb haben wir uns für einen Anbau entschieden. Du brauchst heute für 100 Kinder die doppelte Fläche wie früher. Aber eine neue Planung erfordert mehr Zeit, was die Kosten erhöht. Zu Anfang haben wir mit 700 000 Euro kalkuliert, inzwischen gehe ich von rund 4 Millionen aus. Und dann gibt es nur eine geringe Förderung.
Wo stand die Gemeinde, als Sie vor 18 Jahren losgelegt haben?
Der Kassensturz hat gezeigt, dass die Gemeinde über 3 Milionen Euro Schulden im Haushalt hat, dazu kamen beschlossene Maßnahmen für über 1,3 Millionen ohne Gegenfinanzierung. Es hat vier Jahre gedauert, diese Maßnahmen neu zu finanzieren und im Haushalt abzubilden. Die Kanalsanierung hatte noch nicht begonnen. Dazu kamen die Dorferneuerung und ein sanierungsreifes Rathaus mit einer Kostenschätzung von 620 000 Euro. Da haben wir noch ein Fachwerkgutachten erstellen lassen und auf einmal lagen die Sanierungskosten bei 1,1 Millionen. Ich bin unheimlich stolz darauf, dass wir dann fast eine Punktlandung bei den Kosten gemacht haben.
Ein Blick in die Zukunft: Kann die Gemeinde alleine bleiben oder muss sie mit einer anderen fusionieren?
Die Lage ist sehr problematisch für eine Gemeinde unserer Größe. Wir müssen die selben Leistungen für die Bürger erbringen wie eine größere Stadt. Da passt die Finanzausstattung nicht. Aktuell prüfen wir eine Interkommunale Zusammenarbeit mit Homberg. Das würde auch passen, wenn künftig einmal die Ohmtalbahn von Homberg her reaktiviert wird.