Kein einheitliches Krankheitsbild

Die Krankheitsverläufe der Omikron-Varianten werden derzeit immer milder. Doch einige, die sich mit der Delta-Varianten angesteckt hatten, sind noch immer in Behandlung. Denn sie haben Long- Covid. Die Grebenhainer Vogelsbergklinik hat für diese Patienten ein eigenes Reha-Konzept entwickelt.
Für viele spielt die Corona-Pandemie im Alltag nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Schutzmaßnahmen werden immer weniger, die Quarantäne ist in Hessen abgeschafft und die Auslastung in den Krankenhäusern ist - was das Corona-Virus betrifft - so gering wie lange nicht. Und doch gibt es einige, die noch immer an den Folgen der Erkrankung leiden: Sie haben Long-Covid.
»Die Symptome können ganz unterschiedlich sein«, sagt Nicole Wagner, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie/Sozialmedizin, Chefärztin der Rehabilitation und medizinische Leitung in der Dr. Ebel Vogelsbergklinik. Die einen haben eher körperliche Probleme wie Kurzatmigkeit, andere kognitive Einschränkungen, wie erhöhte Müdigkeit, Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisprobleme. Anderer wiederum leiden psychisch darunter, beispielsweise durch erfahrene Todesangst. Zudem können Patienten nicht nur ein, sondern eine Kombination von Symptomen aufweisen. »Es gibt kein einheitliches Krankheitsbild«, sagt Wagner. »Das macht es so schwer.«
Weil nicht nur der Verlauf, sondern auch die Ursachen für eine Entwicklung von Long-Covid noch unklar sind, gibt es verschiedene Therapieansätze. In der Vogelsbergklinik liegt der Schwerpunkt auf einer psychosomatischen Behandlung mit einer individuellen Anpassung an die Bedürfnisse der Rehabilitanden. »Die Kunst ist, zu erkennen: Was braucht der Rehabilitand«, sagt Wagner. So haben die Patienten nicht nur verschiedene Symptome, sondern auch unterschiedliche Herangehensweisen. »Manche überfordern sich mit den Übungen. Andere versuchen, die Krankheit zu verdrängen und wollen die Übungen meiden«, sagt Wagner. Demnach müssen die einen gebremst und die anderen motiviert werden.
Zu Beginn der Reha kommt es zunächst zur Diagnostik. Unabhängig von den Angaben in der Anmeldung wolle man sich vor Ort ein Bild vom aktuellen Zustand machen. Neben körperlichen Untersuchungen, wie einem Lungenfunktionstest gibt es auch Tests für die kognitiven Fähigkeiten sowie Gespräche. »Das wichtigste ist, dass wir alle ernst nehmen«, sagt Wagner. Einige Patienten hätten schlechte Erfahrungen gemacht, was die Akzeptanz von Long-Covid betreffe.
Anschließend wird ein Therapieplan erstellt. So gibt es bei Problemen mit der Lungenfunktion unter anderem das Angebot, regelmäßig mit einem sogenannten Atemtrainer zu üben oder Atemübungen in der Gruppe. Da einige Covid-Patienten oftmals Wochen später noch Probleme mit dem Geruchs- und Geschmackssinn haben, gibt es für diejenigen, die es betrifft, ein wöchentliches Riechtraining. Um die kognitiven Fähigkeiten zu fördern, können die Rehabilitanden mit einem speziellen Programm üben.
Außerdem gibt es einen sogenannten Hydrojet. Klinikleiter Hans-Heinrich von Schönfels erklärt: »Es ist vergleichbar mit einem Wasserbett mit leichten Wellenbewegungen.« Es diene einer an die entsprechenden Zonen angepassten Unterwassermassage.
Zu den Einzelübungen kommen auch Gruppenaktivitäten hinzu. »Dabei achten wir darauf, dass die Gruppen gemischt sind. Also auch mit Rehabilitanden, die aus anderen Gründen hier sind«, informiert Wagner. Auf diese Weise würden sich die Rehabilitanden nicht nur mit ihrer Krankheit beschäftigen. Für diejenigen, die sich gern mit anderen über ihre Erfahrungen mit Long-Covid austauschen wollen, gibt es zusätzlich das Angebot einer Selbsthilfegruppe.
Neben den aktiven Angeboten gibt es für jeden Patienten eine individuelle psychologische Betreuung. »Das muss auch alles verarbeitet werden«, sagt Wagner. So würden bei den Gesprächen die Schmerzen, aber auch Ängste, Sorgen, depressive Verstimmungen und etwaige Traumata behandelt werden. Um die psychischen Probleme behandeln zu können, sei Zeit ein wichtiger Faktor. Von Schönfels ergänzt: »Viele kommen in eine Reha und denken: ›Nach den fünf Wochen, bin ich wieder gesund‹. Diejenigen sind dann frustriert, wenn dem nicht so ist. Die Reha dient dazu, sich mit dem Leidensweg vertraut zu machen, einen Umgang mit der Krankheit zu finden, und einen neuen Weg zu entdecken.« Dies betreffe nicht nur Long-Covid.
Da die Forschungen zu Long-Covid noch in vollem Gange sind, gebe es noch kein »das hilft.« Daher habe sich die Vogelsbergklinik für einen psychosomatischen Ansatz entschieden. »Bisher sind wir auf einem guten Weg«, sind sich von Schönfels und Wagner einig. Wer ausschließlich körperliche Probleme habe, werde an eine andere Reha verwiesen. Dann mache eine psychosomatische Behandlung in der Vogelsbergklinik wenig Sinn. Da corona-bedingt die Aufnahmekapazität für Rehabilitanden in der Grebenhainer Klinik beschränkt war, gebe es auch jetzt noch eine lange Warteliste für Patienten mit Long-Covid. »Das sind oftmals noch Rehabilitanden aus dem vergangenen Jahr und der Delta-Variante«, sagt von Schönfels. Denn bis die Patienten nach dem Auftreten von Long-Covid eine Rehabilitation antreten können, vergehen oftmals Wochen bis Monate.
Von Long-Covid spricht man nur dann, wenn es keine andere Ursache der Symptomatik gibt. Zudem gibt es in der Reha-Klinik auch Rehabilitanden, die auf andere Art und Weise unter Corona gelitten haben. Diejenigen, die kein Long-Covid haben, aber psychisch unter den Auswirkungen der Lockdowns, der Isolation, den Belastungen durch Homeoffice oder dem Verlust eines geliebten Menschen durch die Pandemie leiden.