Gießener Hochschulen als Zufluchtsorte

Die Gießener Universität pflegt enge Verbindungen mit zwei Hochschulen in Kiew. Wegen des Krieges hat die JLU jetzt nicht nur ukrainischen Studierenden eine Aufnahme angeboten, sondern auch Dozenten und Dekanen ein sicheres Domizil. An der THM melden sich ebenfalls viele Ukrainer, um dort ihr Studium fortzusetzen.
Für viele Studierende sind Auslandssemester nicht nur aus akademischer Sicht eine lohnenswerte Erfahrung. Auch zwischenmenschlich sind Teilnahmen am Erasmus-Programm in vielen Fällen ein Gewinn, und das für beide Seiten. »Jedes Jahr gehen etwa zwei Studenten aus Gießen an unsere beiden Partneruniversitäten in Kiew«, sagt Julia Volz, Leiterin des Akademischen Auslandsamts an der JLU.
Von der National University of Kyiv Mohyla Academy und der National Technical University of Ukraine kämen pro Semester durchschnittlich fünf Studierende nach Gießen. Seitdem der Krieg ausgebrochen ist, haben sich die Vorzeichen jedoch geändert. Junge Ukrainer bewerben sich an den Gießener Hochschulen nicht in erster Linie wegen der Erweiterung des persönlichen Horizonts, sondern um den Bomben zu entkommen.
An der JLU haben sich bereits 75 Studenten aus der Ukraine um ein Auslandssemester ab den Sommersemester beworben, weshalb auch zusätzliche Deutschkurse angeboten werden sollen. Rund 180 weitere Ukrainer sind zudem an einem virtuellen Austauschstudium interessiert. »Wir werden alle aufnehmen«, versichert Volz und erinnert daran, dass die Bewerbungsphase extra verlängert worden ist, um noch weiteren Studierenden aus Kiew diese Möglichkeit zu bieten.
Die ersten Ukrainer hat die JLU bereits aufgenommen, und dabei handelt es sich nicht ausschließlich um Studierende. Volz erzählt, dass zum Beispiel ein Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät in Kiew nach Gießen gekommen sei. »Einer unserer Slawistikprofessoren hat ebenfalls enge persönliche Verbindungen zu den Kollegen in Kiew. Er hat bereits Anfang März zwei ukrainische Professorinnen in Gießen in Sicherheit gebracht.« Die beiden Frauen sind im Gästehaus der JLU untergekommen; auch die Tochter der einen Professorin ist mitgekommen, sie will nun hier als Austauschstudentin einsteigen.
Die Technische Hochschule Mittelhessen erhält derzeit ebenfalls jede Menge Anfragen von ukrainischen Studenten. Wie viele es genau sind, kann Pressesprecher Malte Glotz nicht sagen. Er spricht von verschiedenen »Stadien« zwischen unverbindlicher Anfrage und Einreichung erster Unterlagen für eine Einschreibung. »Insgesamt beläuft sich die Zahl dieser Anfragen bislang auf mehr als 40. Die Zahl steigt stetig.«
Da die Ukraine Teil des Bologna-Prozesses ist, sei die Anerkennung für passende Studiengänge nicht allzu kompliziert, sagt Glotz weiter.
Über 100 Ukrainer an JLU und THM
Auch Volz von der JLU sieht diesbezüglich keine Probleme. Komplizierter sei hingegen die Finanzierung. »Akademisch aufnehmen können wir alle, finanziell fördern können wir, solange wir Geld haben.« Die Leiterin des Auslandsamt erinnert diesbezüglich an den von den mittelhessischen Hochschulen (Justus-Liebig-Universität, Philipps-Universität Marburg, Technische Hochschule Mittelhessen) eingerichteten Hilfsfonds, den das JLU-Präsidium anfangs mit einem Sockelbetrag von 100 000 Euro gefüllt hat.
Wegen der großen Nachfrage - bereits 100 Ukrainer haben sich alleine über die JLU für eine Förderung beworben - ist die Universität jedoch weiterhin auf Spenden angewiesen. »Wir setzen alles an Drittmitteln ein und haben schon viele Spenden erhalten, zum Beispiel von der Gießener Hochschulgesellschaft«, sagt Volz. Dadurch erhalten Studierende 1000 Euro pro Monat, Promovierende 1200 Euro und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion zwischen 1500 und 2500 Euro pro Monat plus gegebenenfalls eine Familien- zulage von 250 Euro.
Während die Bewerbungsphase läuft, sind die ersten Menschen der beiden Kiewer Partner-Unis bereits in Gießen angekommen. Nicht nur im Gästehaus der Universität, sondern auch in den Studentenheimen. »Über zehn Studenten sind dort bereits untergekommen«, sagt Volz. »Wir stehen diesbezüglich mit dem Studentenwerk im engen Kontakt.« Wenn nicht alle auf- genommen werden können, werde es andere Lösung geben, betont die Leiterin des Auslandsamts. »Wegen Wohnraumengpässen wird niemand abgelehnt. Daran wird es nicht scheitern.«