1. Gießener Allgemeine
  2. Vogelsbergkreis

Flaschenhals für Geflüchtete

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

seg_sb2_010422_4c_1
Wegen der Corona-Pandemie befindet sich der Wartebereich des Stadtbüros immer noch im Foyer des Rathauses. © Red

Tausende Ukrainer leben zurzeit in Gießen. Der Großteil in der Erstaufnahmeeinrichtung, ein kleinerer Teil ist privat untergebracht. Und egal ob Sozialleistungen, Krankenversicherung oder Arbeitserlaubnis: Für alles ist die Anmeldung des Wohnsitzes im Stadtbüro Voraussetzung. Zustände wie 2015 gibt es hier aber nicht mehr.

Im Jahr 2015 kamen im Stadtbüro unzählige Pappkisten voll mit Wohnsitzanmeldungen an. Denn jeder Geflüchtete, der in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAEH) in Gießen, der einzigen in Hessen, angekommen war, bekam auch hier seinen Wohnsitz angemeldet. Für die Bearbeitung habe die Stadt damals extra Personal anstellen müssen, erinnert sich Stadtsprecherin Claudia Boje zurück. Und auch die jetzigen Geflüchteten aus der Ukraine, die Hessen zugeteilt werden, kommen als Erstes alle in die EAEH nach Gießen und müssen wie damals hier ihren Wohnsitz anmelden. Für die Mitarbeiter der Stadt gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zu 2015: Digitalisierung. »Weder Menschen noch Papiere müssen aus der EAEH zu uns kommen«, sagt Boje. Dem Stadtbüro werden von den Mitarbeitern des Regierungspräsidiums einfach die entsprechenden Datensätze übermittelt. Das laufe dann zwar nicht ganz ohne Arbeit für die Stadtmitarbeiter ab, »die Daten müssen kontrolliert und bearbeitet werden«, trotzdem sei es kein Vergleich zu der Zeit vor der Digitalisierung. Mehrere Tausend Ukrainer sind so mit Wohnsitz EAEH gerade bei der Stadt Gießen gemeldet. »Das wechselt auch ständig, das ist ein Kommen und Gehen«, erklärt Boje. Denn die Geflüchteten in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben meist nur kurze Zeit in Gießen, bevor sie in anderen Kommunen untergebracht werden. Dann werde ihr Wohnsitz in diesen Kommunen angemeldet und in Gießen wieder abgemeldet.

Es gibt aber noch mehr Ukrainer, die zwar gerade in Gießen, aber nicht in der EAEH wohnen, sondern privat untergebracht sind. Und nicht alle von ihnen haben ihren Wohnsitz bei der Stadt angemeldet, das müssen sie vorerst auch nicht: Ukrainer dürfen sich 90 Tage visumsfrei in Deutschland aufhalten. Wenn sie jedoch eine Arbeitserlaubnis, eine Krankenversicherung oder Sozialleistungen erhalten wollen, dann ist die Anmeldung des Wohnsitzes immer die Grundvoraussetzung, bevor die Ukrainer alles weitere beim Sozialamt des Landkreises oder der Ausländerbehörde der Stadt klären können. »Wir sind hier sozusagen der Flaschenhals«, sagt Claudia Boje.

Mit Stand Mittwochnachmittag haben 505 Ukrainer, die privat in Gießen untergekommen sind, ihren Wohnsitz in Gießen angemeldet. Dazuzählen zum Beispiel auch die rund 60 Geflüchteten im Liebig-Hotel, die dort von Ehrenamtlichen auch bei den Behördengängen unterstützt werden.

Bisweilen müssen die Bürger im Stadtbüro dann auch etwas Geduld mitbringen. »Wenn die Geflüchteten in einer größeren Gruppe kommen, kann es mal ein wenig dauern«, sagt Boje. Dabei sei der Prozess pro Person eigentlich schnell erledigt. Rund zehn Minuten brauche die Anmeldung.

Wenn die Ukrainer in Gruppen mit Helfern kommen, sei oft auch eine Person dabei, die Russisch oder Ukrainisch übersetzen könne. »Ansonsten gibt es aber auch den Google-Übersetzer auf dem Handy«, sagt Boje. Die Stadt habe auch bei ihren Mitarbeitern nach den nötigen Sprachkompetenzen gefragt, um kurzfristig jemanden zum Übersetzen hinzurufen zu können, wenn es nötig sei. »Und wir haben das Glück, dass jemand im Stadtbüro zumindest Kyrillisch lesen kann.« Denn auf den Dokumenten stehen meist keine lateinischen Buchstaben.

Während im öffentlich zugänglichen Teil des Stadtbüros die Arbeit fast normal weiterläuft, geschieht die »unsichtbare« Mehrarbeit der zahlreichen Anmeldungen in den Hinterzimmern. Die Stadt habe für diese Aufgabe zusätzliche Kapazitäten freigeräumt. Boje erinnert daran, dass in Gießen die einzige Erstaufnahmeeinrichtung des Landes ist und sagt: »Diese Belastung gibt es deswegen in keiner anderen Stadt in Hessen.«

Auch interessant

Kommentare