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»Es ist fünf vor Zwölf«

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Von: Sophie Röder

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Seit Langem gibt es Konflikte um das Haus am Kirchplatz 10 in Alsfeld. Heute Abend soll davor eine »Mahnwache« stattfinden. © Joachim Legatis

Auch einem Spaziergänger fällt auf: Das Haus am Kirchplatz 10 in Alsfeld sieht bedenklich aus. Um das Denkmal zu erhalten, findet heute Abend eine »Mahnwache«, initiiert von Jan-Patrick Wismar, statt. Dieser hofft, dass der Eigentümer das Haus bald verkauft. Doch der hat seine eigenen Pläne.

Das alte Fachwerkhaus am Kirchplatz 10 in Alsfeld hat im vergangenen Jahr mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Der Grund: Das Haus verfällt zusehends. »Es ist fünf vor Zwölf, wenn nicht sogar eins vor«, sagt Jan-Patrick Wismar, Vorsitzender des Regionalverbandes Mittelhessen des Vereins Stadtbild Deutschland. »Es tut in der Seele weh, zu sehen, wie solche Häuser verfallen.« Als Wismar das Haus am Kirchplatz zum ersten Mal gesehen habe, seien ihm die Tränen gekommen. Daher hat er für heute, 10. Januar, zu einer »Mahnwache« vor dem Haus aus dem 14. Jahrhundert aufgerufen. Dafür hat er sogar Grablichter besorgt.

»Wir möchten auf diese Weise die Alsfelder zusammenschweißen und den Besitzer dazu bewegen, das Haus zu einem angemessenen Preis zu verkaufen.« Damit soll erreicht werden, dass die Restaurationsarbeiten in Gang gebracht werden. »Es wäre am besten, wenn die Renovierungen noch in diesem Jahr beginnen könnten.«

Derzeit wird das Haus von außen mit Pfeilern abgestützt. »Der Stützbau hält aber nur noch bis Ende 2024«, erklärt Wismar. »Ich möchte nichts schwarz malen, aber das Haus senkt sich immer weiter ab. Wenn es plötzlich auf der Straße liegt, kann man es nicht mehr retten.« Auch von Innen sei das Haus in einem schlechten Zustand, so war in anderen Medienberichten die Rede, dass sich Ungeziefer eingenistet habe. In einem Gutachten, das 2021 im Vorfeld einer Versteigerung erhoben wurde, heißt es, dass das Haus nicht bewohnbar und eine Kernsanierung nötig ist.

Es ist nicht das erste Gebäude, für das Wismar sich einsetzt. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Alte Post in Gießen. Die Motivation rührt aus seiner Vergangenheit: »In meiner Kindheit wurde ein sehr altes Gebäude abgerissen. Sowas möchte ich verhindern. Häuser, die die Jahrhunderte überdauert haben, sollten auch weiterhin bewahrt werden.«

Mit diesem Gedanken ist Wismar nicht allein. Das Haus am Kirchplatz, das als eines der interessantesten in Alsfeld gilt, ist »aus geschichtlichen und städtebaulichen Gründen« ein eingetragenes Kulturdenkmal. »Leider ist das Gebäude seit Jahrzehnten ›in schlechten Händen‹, die es immer weiter haben verfallen lassen«, sagt Bürgermeister Stephan Paule. Zuletzt wurde des Gebäude im Jahr 2014 von Dr. Günther Gräff erworben, der im gesamten Bundesgebiet historische Immobilien besitze. »Entgegen all seinen Beteuerungen hat er zu keinem Zeitpunkt Schritte unternommen, das Gebäude zu sanieren«, führt Paule aus. »Und das, obwohl über die Stadt Alsfeld sowohl über die Programme ›städtebaulicher Denkmalschutz/Lebendige Zentren‹ und ›Fachwerkstadt Alsfeld‹ hohe Fördermittel abrufbar wären.«

Im vergangenen Jahr kam es letztlich zu einer Zwangsversteigerung, da Dr. Gräff die Kosten des Vogelsbergkreises der statischen Sicherungsmaßnahmen nicht übernahm. »Im ersten Versteigerungstermin erschien Dr. Günther Gräff und bot mit Barschecks im fünfstelligen Bereich fleißig mit. Das dargelegte Gebot wurde vom Vogelsbergkreis gepfändet. In diesem Zusammenhang aufgetauchte Konten führten zu weiteren Pfändungen. Es verblieb eine vierstellige Restschuld, die Dr. Gräff eine Woche vor dem zweiten Zwangsversteigerungstermin beglich, sodass kein Eigentümerwechsel herbeigeführt werden konnte«, resümiert der Bürgermeister.

Dabei hatten die Stadt und Wismars Verein, Stadtbild Deutschland, jemanden gefunden, der das Haus - trotz eines Verkehrswerts von Null Euro - kaufen und restaurieren wollte. »Alle Verkaufsgespräche scheiterten letztlich am Eigentümer, der entweder gar nicht mehr verkaufen wollte oder utopische Preisvorstellungen im sechsstelligen Bereich hatte«, sagt Paule.

»Als Bürgermeister bin ich seit Jahren über das betrügerische Gebaren von Dr. Gräff verärgert. Es ist seine Schuld, dass ein wichtiges Kulturdenkmal auf diese Art und Weise verkommt«, sagt Paule. Zusammen mit dem Kreisbauamt und dem Landesamt für Denkmalpflege werde die Stadt weiter daran arbeiten, dass das Gebäude saniert und für die Nachwelt erhalten werden könne. »Denkmalrechtliche Sanierungsgebote stehen dabei weiterhin im Raum, genauso wie Maßnahmen der Bauordnung und der Gefahrenabwehr, die zur ersten Zwangsversteigerung geführt haben.«

Auf Rückfragen dieser Zeitung berichtete Dr. Gräff über seine Pläne für das Haus: »Es soll ein Ladengeschäft für Gemälde werden. Es ist noch unklar, über wie viele Stockwerke genau. Im Zweiten Obergeschoss soll dann der Inhaber wohnen können.«

Doch bevor das umgesetzt werden könne, müsse das Haus renoviert werden. Dafür benötige er finanzielle Mittel und natürlich Handwerker. »Obwohl ich mich sehr bemüht habe, habe ich keinen Handwerker aus der Region bekommen.« Auch der Architekt habe aktuell keine Zeit. »Handwerker und Architekt sind für solch ein Gebäude entscheidend, damit es fachgerecht restauriert werden kann.«

Des Weiteren müsse zunächst festgestellt werden, wie es um die Standfestigkeit bestellt sei. Als er das Haus 2014 erworben habe, sei der Zustand nicht ersichtlich gewesen. »Das Haus war noch bewohnt«, sagt Dr. Gräff. »Je länger man damit wartet, desto schlimmer wird es. Ich kann es nicht ändern, dass ich bisher noch niemanden dafür gewinnen konnte«, betont Gräff. »Mir sind die Hände gebunden, weil ich keine Leute finde. Das geht mir an anderen Standorten ähnlich.«

Um die nötigen Mittel für die Restauration aufzutreiben, wolle Dr. Gräff Wohnungen in Dresden und Chemnitz verkaufen. »Um eine Wohnung zu verkaufen, muss sie vorher renoviert werden. Auch dabei fehlen zurzeit die Handwerker.« Sobald die Wohnungen verkauft seien, wolle er 150 000 bis 200 000 Euro sofort für das Haus am Kirchplatz einsetzen. Dieses sei ihm besonders wichtig, da seine Großmutter in der Stadt gelebt habe. Daher möchte er entweder aus den Verkäufen oder spätestens nach seinem Ableben mittels Testament eine Stiftung ins Leben rufen, die sich um die Erhaltung des Hauses am Kirchplatz kümmern soll.

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Heruntergekommen: Das Haus Kirchplatz 10 muss abgestützt werden. © Joachim Legatis

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