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»Er hat mer des Lebe gerettet«

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Von: Joachim Legatis

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Eine Homberger Schülergruppe erfährt von »Sonny« Sonnenberg, wie er als 13-Jähriger im Konzentrationslager überlebte. Links Matthias Thoma vom Eintracht-Museum. © Red

Der 91-jährige Zeitzeuge »Sonny« Sonnenberg stand im Mittelpunkt einer außergewöhnlichen Veranstaltung an der Ohmtalschule. Eine Schülergruppe hat in Frankfurt mit dem Überlebenden des Holocaust gesprochen, der Film stieß auf großes Interesse.

Er hat das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt, ist ein großer Fan der Frankfurter Eintracht und sorgte nun für eine sehr interessanteVeranstaltung für über 300 Homberger Schülerinnen und Schüler. Helmut »Sonny« Sonnenberg ist ein lebhafter 91-Jähriger und er ist in einem ganz klar: »Wenn jemand in eurer Familie sagt, »weg« und »abschaffen«, dann wehrt euch«, forderte Sonny die Jugendlichen auf. Niemand dürfe ausgegrenzt werden, jedes Kind habe ein Recht, frei zu leben.

Besonders hart geht Sonny mit denen ins Gericht, die behaupten, dass die Gräuel der Konzentrationslager erfunden sind. Er selbst hat die »lebenden Leichen« aus dem Konzentrationslager Auschwitz gesehen. Er sei Pazifist, sagt er, aber »dem haue ich in die Fresse«. Doch auch ohne Gewalt ist Sonny wirkungsvoll, denn die Schülerinnen und Schüler verfolgen gebannt den Worten des 91-Jährigen über die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Eine Schülergruppe der Ohmtalschule hat das Gespräch im Eintracht-Museum in Frankfurt aufgezeichnet, um den Film in der Ohmtalschule aufzuführen.

Schulleiter Carsten Röhrscheid erläuterte, dass Sonny wegen seiner angeschlagenen Gesundheit nicht nach Homberg kommen konnte. So haben Vertreter der Klassenstufen 7 bis 10 das Gespräch in Frankfurt geführt. Ergebnis ist ein gut 40-minütiger Film.

Die Filmaufführungen sind Teil der Projekttage »Gemeinsam gegen Ausgrenzung«, vorbereitet von Lehrer Philipp Künz und Caritas-Mitarbeiterin Sophia Löwe als »Respekt-Coach«. Bundesmittel ermöglichen solche Vorbeugungsprojekte gegen Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Ausgrenzung erlebt

So fragte Künz, wo Ausgrenzung auftritt. Die Jugendlichen verwiesen auf Menschen, die abgelehnt werden, weil die Familie aus einem anderen Land kommt, auf den Holocaust im Nationalsozialismus und Ausgrenzung von armen Menschen. Künz erinnerte an Rollstuhlfahrer, die nicht überall hinkommen, an Jugendliche, die gehänselt werden, weil sie kleiner sind. »Menschen sind unterschiedlich«, das gelte es zu beachten. Dabei sind in Deutschland alle Menschen gleich gestellt, anders als im Iran, wo Männer mehr Rechte genießen. Sonny hat jahrelange Ausgrenzung hautnah erfahren. Er wurde 1931 als Sohn einer jüdischen Haushälterin unehelich geboren. Seine Mutter heiratete ein Jahr später und ließ sich katholisch taufen, ebenso wie der kleine Junge. Dennoch wurden sie als Juden behandelt. Der Vater weigerte sich, die Scheidung von seiner als »jüdisch« deklarierten Frau zu bantragen.

»Ich konnte nicht zur Schule gehen, musste den Judenstern tragen und wurde für zwei Jahre in ein Waisenhaus gesteckt«, erzählt Sonny. Sie wurden »wie Aussätzige« behandelt, dabei bin ich jier geboren«. Aus dem jüdischen Waisenhaus gingen »jeden Monat zwei Transporte« ab.

Sein Stiefvater konnte die Verschleppung seiner Frau und des jungen Helmut verhindern, indem er seine Orden aus dem 1. Weltkrieg anzog, zur Gestapo ging und sagte, »ihr nehmt mir meinen Bub nicht weg«. Sonny ergänzt in seinem Frankfurter Dialekt, »er hat mer des Lebe gerettet«. Aber über sechs Jahre hinweg haben ihm die Eltern verboten, auf die Straße zu gehen - zu gefährlich. »Ich war lebendig eingemauert.«

Hunger im KZ

Im Februar 1945 sind Ria Wessinger und der 13-jährige Helmut noch in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden. Die fünfeinhalb Monate waren geprägt von Kälte und Hunger. Auf dem Kasernengelände für 5000 Soldaten lebten bis zu 40 000 Menschen. Immer wieder gingen Transporte in die Vernichtungslager ab, Helmut wog bei der Befreiung durch die russische Armee nur noch 27 Kilogramm. Doch damit war er besser dran als die Menschen, die aus dem KZ Auschwitz nach Westen transportiert wurden, kurz bevor die russische Armee das Gelände einnahm. Die Menschen, die den Waggons entstiegen, sahen aus »wie lebende Leichen«, total abgemagert.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte das deutsche Reich und »am 9. Mai gab es in Deutschland keine Nazis mehr«, so Sonny. Er konnte endlich ein normales Leben führen, Bildung nachholen und der Begeisterung für Fußball nachgehen. Erst da hat er Freunde gefunden, meinte er bitter. Bis vor 15 Jahren hat Sonny über die schlimme Zeit geschwiegen. Dann erst waren die alten Nazis aus dem gesellschaftlichen Leben verschwunden und er konnte freier sprechen. Dazu animert hat ihn ein Freund, der Leiter des Eintracht-Museums Matthias Thoma.

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Der 91-jährige Sonny Sonnenberg spricht mit der Schülergruppe über die Verfolgung im 3. Reich. Die Film-Dokumentation des Gespräch wird in der Ohmtalschule gezeigt. © Red

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