Die Verlogenheit der Katar-Diskussion

Das Großereignis steht vor der Tür, an diesem Sonntag geht es los. Kurz vor Ladenschluss - die meisten Messen sind gesungen - wird von allen Seiten (Politik und Medien voran) noch einmal so richtig auf Empörung gemacht.
Der Betrachter fühlt sich wie im falschen Film. Warum? Die unsägliche Vergabe der FIFA an den Wüstenstaat liegt viele Jahre zurück. In diesen Jahren wurde die FIFA zu Recht getadelt - ohne jegliche Wirkung. Wenn man es mit dem geforderten Boykott ernst gemeint hätte, mehrere Möglichkeiten hätten zur Verfügung gestanden, die Teilnahme der deutschen Mannschaft zu verhindern.
Die Bundesregierung hätte ihr Veto einlegen können. Das hat sie bei den olympischen Sommerspielen in Moskau 1980 wegen des Afghanistan-Krieges getan - sehr zum Leidwesen der Athleten, die jahrelang auf diesen Karrierehöhepunkt hintrainiert haben, zumal es die englische Regierung seinerzeit anders entschieden hat. Der Deutsche Fußballbund hätte die Teilnahme ebenfalls verweigern können.
Außer kraftvollen Sprüchen ist in letzter Konsequenz weder von unserer Regierung noch vom DFB etwas Nennenswertes passiert.
Am scheinheiligsten verhalten sich die Medien. ARD und ZDF lassen keine Sportsendung aus, um auf die Situation in Katar hinzuweisen und die Sportler in Interviews in die Enge zu treiben. Paradebeispiel war Dunja Hayali im Sportstudio am 5. November, als sie Nico Schlotterbeck von Borussia Dortmund mit ihren Fragen traktierte.
Schlotterbeck zog sich achtbar aus der Affäre und machte den Zwiespalt deutlich: Auf der einen Seite das Unwohlsein der Fußballer ob der Zustände im Gastgeberland, auf der anderen Seite aber die Lust und der Wille, sportlich erfolgreich unser Land zu vertreten und etwas für das eigene Image zu tun.
Und auch in diesem Gespräch wurde deutlich, dass die Frage eines Boykotts nicht die Sportler entscheiden können. Die Entscheidung liegt an anderer Stelle!
In den nächsten Tagen werden wir uns auch in den Abendprogrammen intensiv mit diesem Thema konfrontiert sehen. Die Fragen sind eigentlich schon alle gestellt, aber noch nicht von allen.
Apropos ARD und ZDF: Sie werden in Mannschaftstärke in Katar vertreten sein, übertragen und berichten, was das Zeug hält. Wer zwingt unsere beiden Sender eigentlich, so zu handeln? Auch sie hätten boykottieren können.
Am Ende des Tages geht es doch auch hier nicht nur um uns Zuschauer, sondern ums liebe Geld. Auch die schreibende Zunft legt sich mächtig ins Zeug und steht den TV-Sendern in nichts nach. Um nicht einen falschen Eindruck zu erwecken: Ich halte die Vergabe der WM nach Katar für grundfalsch, ich hätte einen Boykott begrüßt und den Umgang der dortigen Herrscher mit Minderheiten jeglicher Art und den Gastarbeitern halte ich für menschenverachtend.
Deshalb ist die Diskussion um die Menschenrechte nach der Weltmeisterschaft weiterzuführen, wissend, dass sich gerade Europa und unser Land wegen der Energieknappheit in Abhängigkeit zu dem Wüstenstaat befindet.
Der Besuch unseres Wirtschaftsministers vor wenigen Wochen hat es deutlich gemacht. Robert Habeck ist für seine Haltung kritisiert worden. Glaubt jemand allen Ernstes, dass ihm dieses Verhalten - schließlich zu unser aller Wohl - leichtgefallen ist?
Nun aber hat in wenigen Tagen der Sport das Sagen. Als aktiver Sportler und Fußball-Enthusiast werde ich mir die Spiele anschauen. Natürlich respektiere ich jeden, der das für sich anders entscheidet.
Unserer Mannschaft wünsche ich viel Erfolg. Ein wenig Freude in der momentanen krisenhaften Zeit kann nicht schaden.
Dieter Bock,
Homberg