Die Natur bewahren

Bei kommunalen Haushalten kommen Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen immer wieder zur Sprache. In der Gemeinde Mücke stehen derzeit insbesondere die Maßnahmen für die Ansiedlung der Firma Nordfrost zur Debatte. Doch was genau hat es mit diesen Maßnahmen eigentlich auf sich? Bürgermeister Andreas Sommer ermöglicht Einblicke.
Es gilt, Eingriffe in die Natur zu vermeiden. »Jeder Eingriff, der dennoch vorgenommen wird, muss ersetzt oder ausgeglichen werden«, sagt Bürgermeister Andreas Sommer. Und zwar durch den »Eingreifer« - also denjenigen, der den Eingriff vorgenommen hat. Dafür gibt es die Ausgleichs- oder Kompensationsmaßnahmen. Diese betreffen nicht nur Städte und Gemeinden, sondern jeden.
»Im Rahmen des Bebauungsplans wird festgelegt, auf welcher Fläche der Ausgleich stattfinden soll«, erklärt Sommer. Dafür schauen sich Experten das betroffene Gebiet an und ermitteln den ökologischen Wert. Welchen Wert eine Fläche pro Quadratmeter hat, findet sich in der Kompensationsverordnung (KV), die auf das Bundesnaturschutzgesetz zurückgeht.
Nachdem dieser ermittelt ist, kann der Verantwortliche anhand der KV selbst Vorschläge einbringen oder jemanden beauftragen, der das übernimmt. Der Ausgleich muss nicht eins zu eins stattfinden. Das heißt, es muss nicht unbedingt ein neuer Baum gepflanzt werden, wenn einer gefällt wurde. Doch er muss für die Natur so wertvoll sein, wie es der Baum war. »Dabei sollte darauf geachtet werden, dass durch eine Kompensation kein weiterer Eingriff entsteht«, sagt Sommer. Dies könnte der Fall sein, wenn die Ausgleichsfläche durch die Maßnahmen nicht verbessert, sondern verschlechtert wird.
Ein Beispiel: Ein »extensiv genutzter Acker mit artenreicher Wildkrautflora« hat einen Wert von 39 Punkten pro Quadratmeter. Wenn dort die Wildkrautflora beseitigt wird, um eine Hecke zu pflanzen, die einen Wert von 27 Punkten pro Quadratmeter hat, hat die Fläche, auf der etwas kompensiert werden soll, selbst Schaden genommen. Damit so etwas verhindert wird, werden die Maßnahmen der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) vorgestellt. Diese entscheidet endgültig, welche getroffen werden müssen.
Die festgelegten Maßnahmen müssen laut aktueller KV spätestens drei Jahre nach dem Eingriff begonnen und mit dem letzten Bauabschnitt des Eingriffs abgeschlossen werden. Eine entsprechende Terminierung wird festgelegt.
Sommer erklärt: »Einen Eingriff ökologisch auszugleichen, bedeutet nicht nur, eine Fläche nach den Maßnahmen zu gestalten, sondern diese kontinuierlich zu pflegen.« Das bedeutet auch, dass die Ausgleichsflächen nicht selbst zu Bauland werden, sondern im Sinne des Naturschutzes gepflegt und erhalten werden. »Und das, so lange das Gebäude, weshalb der Eingriff vorgenommen wurde, steht - jedoch mindestens 30 Jahre.«
Wer die Kompensation betreut, wird vertraglich geregelt. »Wenn die Gemeinde beispielsweise ein Neubaugebiet erschließt, verpflichtet sich für gewöhnlich die Gemeinde die Maßnahmen umzusetzen und zu betreuen, obwohl der Bauherr der Eingreifer ist«, sagt Sommer. Es sei unkomplizierter eine große Fläche zu koordinieren, als es jeden Bauherren selbst machen zu lassen. Die Kosten werden mit dem Kaufpreis anteilig an die Käufer weitergegeben.
Bei einem Verkauf an einen großen Bauherren, sei es möglich, die Ausgleichsmaßnahmen an ihn abzugeben. Im Falle des 13 Hektar großen Grundstückes für die Firma Nordfrost habe sich die Gemeinde verpflichtet, diese umzusetzen. Obwohl in der jüngsten Sitzung der Gemeindevertretung beschlossen wurde, dass Nordfrost, die Erschließungsbeiträge und Kosten für die Kompensationsmaßnahmen übernehmen soll, bleibt die Umsetzung bei der Gemeinde. »Die Maßnahmen haben Gesetzeskraft. Denn der Eingriff hat stattgefunden, unabhängig davon, wer die Kosten trägt«, betont Sommer.
Zusätzlich Ausgleich für Artenschutz
Mit einem Teil der Ausgleichsmaßnahmen hat die Gemeinde 2022 begonnen: So wurden für die Pflanzung einer Streuobstwiese bei Atzenhain 50 hochstämmige Obstbäume mit verschiedenen Sorten bestellt und vorbereitet. Dafür wurde unter anderem der bestehende Pachtvertrag mit dem Landwirt, der die Fläche zuvor bewirtschaftet hat, angepasst.
Die Pflanzung der Streuobstwiese unterliegt einer Besonderheit. Sommer erklärt, dass diese nicht als Kompensationsmaßnahme für den Wert der Fläche, sondern wegen des Artenschutzes stattfindet. Und zwar zur Erhaltung der Breitflügelfledermäuse. »Der Artenschutz ist ein weiterer Aspekt bei Eingriffen in die Natur«, sagt Sommer. »Wenn geschützte Arten betroffen sind, muss für diese ein direkter Ausgleich geschaffen werden.« Je nach Tierart bedeutet dies eine Errichtung eines neuen Lebensraumes, die zum Teil mit einer Umsiedlung der Tiere einhergehen kann.
Für Nordfrost muss nicht nur die Streuobstwiese angelegt werden, sondern auch jährlich 5000 Quadratmeter Blühstreifen. Denn neben den Fledermäusen waren auch Feldlerchen betroffen. Auch dafür wurden 2022 entsprechende Verträge angepasst, so dass in diesem Jahr die ersten Blühstreifen angelegt werden. Des Weiteren stehen als Artenschutzausgleichsmaßnahmen Ersatzpflanzungen von heimischen Bäumen und Gehölzen für die Goldammer und Klappergrasmücke an.
Was die anderen Kompensationsmaßnahmen für Nordfrost betrifft, wurde eine großflächige Renaturierungsmaßnahme auf drei Hektar durch Bereitstellung ufernaher Flächen, der Dörrwiese in Nieder-Ohmen, beschlossen. Dort soll neben der Extensivierung des Grünlandes ein Nebengerinne zur Ohm geschaffen werden sowie eine Aufweitung des Grabens mit umliegenden Nasswiesen und Kleingewässern. Hinzu kommt eine Entwicklung von Auwald. Auch die Maßnahmen sollen in diesem Jahr begonnen werden.
Des Weiteren - doch das betreffe eher die Jahre 2024 und folgende - steht eine Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Ohm im Bereich Nieder-Ohmen auf sieben Kilometern Länge an. Dazu zählt der Rückbau zweier Wehre, da diese für die Fische als Wanderhindernisse gelten. »Einen kommunalen Haushalt ohne Mittel für Kompensationsmaßnahmen gibt es nicht«, sagt Sommer. Denn eine Kommune hat in der Regel nicht nur Maßnahmen für ein Projekt zu betreuen.
Einen Überblick über die Kompensationsmaßnahmen und den jeweiligen Stand in ganz Hessen bietet NATUREG, ein Portal des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie.