Die Hoffnung nicht verlieren

Anhaltende Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine ohne Aussicht auf ein baldiges Ende: Die Osterfeiertage stehen erneut unter keinen guten Vorzeichen. Dennoch heißt es Mut und Zuversicht bewahren, rät Dekanin Dr. Dorette Seibert. Was jeder im Kleinen tun kann, das soll er tun, sagt sie.
Welche Bedeutung hat Ostern für Sie persönlich?
Ostern und Karfreitag gehören für mich zusammen. In der Bibel lesen wir, wie enttäuscht die Menschen von Jesus waren. Sie haben sich politisch und geistlich mehr von ihm erhofft. Sie wenden sich ab - er stirbt am Kreuz - verlassen von Gott und der Welt. Das Osterfest steht für mich dafür, dass Gott auch dann, wenn alles hoffnungs- und trostlos ist, für die Liebe einsteht. Eine Liebe, die stärker ist als Leid und Schuld und Tod und auch stärker als alles, was ich zu leisten vermag und auch stärker als mein größtes Versagen.
Wofür steht es noch?
Für mich ist Ostern ein Fest des manchmal leisen und ungläubigen, aber doch stets sich zu Wort meldenden Trotzes. Gott lässt uns teilhaben an dieser Liebe. Gott weckt Glauben und pflanzt Hoffnung in unsere Herzen. Daran möchte ich trotzig (manchmal staunend, manchmal zuversichtlich und manchmal auch voller Zweifel) festhalten können, auch wenn es in meinem Alltag gerade ganz anders aussieht. Dieser Trotz - das ist für mich Ostern.
Wie wirken sich die Nachrichten aus dem Ukraine-Krieg auf das Ostergefühl aus?
Einen blutigen Krieg mitten in Europa in unserer Gegenwart - das haben wir uns lange Zeit nicht vorstellen können. Die Bilder, die uns erreichen, sind erschütternd. Wir können versuchen (und viele von uns tun es Gott sei Dank auch), die Folgen des Kriegs für die Geflüchteten zu lindern, indem wir spenden oder Obdach zur Verfügung stellen. Wir sind aber auch jeden Tag damit konfrontiert, dass es nicht in unserer Macht steht, den Krieg zu beenden. Unsere Regierung versucht politisch so zu agieren, dass sich der Krieg nicht ausweitet und zu einem noch größeren wirtschaftlichen und politischen Desaster in Europa führt. »Wir werden einander viel zu vergeben haben« - so ähnlich hat es der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn am Anfang der Corona-Pandemie ausgedrückt. Dieser Satz wird meines Erachtens noch viel mehr am Ende des Ukraine-Krieges gelten. Das Osterfest wirbt um mein Vertrauen in Gott, damit ich ganz konkret in den Herausforderungen der Gegenwart - trotz allem - die Hoffnung nicht verliere und das tue, was in meiner Macht steht, um Frieden und Versöhnung eine Chance zu geben.
Welche Bedeutung hat die Auferstehungs-/Erlösungserzählung für Sie?
Ob ich nun die Corona-Krise anschaue, oder den Krieg in der Ukraine, ich erlebe mich im Hinblick auf die Beendigung dieser Krisen als ziemlich ohnmächtig. Zugleich erlebe ich, dass sich viele Menschen engagieren. Zwischen Depression und Aktionismus einen Weg zu finden, gehört zu den großen Herausforderungen, denen wir uns gerade stellen müssen. Die Erlösungserzählung erinnert mich daran, dass ich weder die Welt retten kann (denn das hat Jesus Christus bereits für uns getan) noch dass ich in Resignation verfallen muss (denn in der Nachfolge Jesu Christi werde ich zum Engagement für andere ermutigt). Die Erlösungserzählung löst mich aus Überheblichkeit und Schockstarre, bringt mich ins Denken und Handeln und tröstet mich, dass das meiste, was ich tue, fragmentarisch bleibt - also der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein, der trotzdem so wertvoll ist.
Ist Ostern für Sie ein Familienfest?
Sicher, es ist auch ein Familienfest. Ostereier färben, verstecken, suchen und finden. Das Leben entdecken und das Leben feiern zusammen mit anderen Menschen, in der Familie, in der Gemeinde, im Freundeskreis - auch das schenkt Mut und Hoffnung in diesen traurigen Tagen. Schön ist es, wenn da auch noch Platz ist für die, die nicht unmittelbar zur Familie gehören und ich hoffe, dass in diesem Jahr möglichst viele Menschen die Möglichkeit haben - trotz Corona und des Ukraine-Krieges - Ostern in Gemeinschaft zu erleben.
Welchen spirituellen Gehalt sehen Sie in Ostern?
Mir haben in den letzten beiden Jahren die Osternachtsgottesdienste gefehlt. Den Weg vom Dunkel ins Licht gemeinsam mit anderen zu erleben und miteinander Tauferinnerung und Abendmahl zu feiern, sind für mich starke Zeichen der Zugehörigkeit. Ich bin getauft: ich gehöre zu Gott. Wir feiern gemeinsam Abendmahl: ich gehöre zur Gemeinschaft Jesu Christi. Das motiviert mich, auch in meinem Alltag Wege aus der Dunkelheit ins Licht zu suchen für mich und für andere.