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»Der Aufwand lohnt sich nicht«

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Ein Fahrkartenautomat des RMV: Hier soll es bald das 9-Euro-Ticket geben. © Gerhard Kaminski

Die Vorbereitungen auf das 9-Euro-Monatsticket für den Nah- und Regionalverkehr laufen auf Hochtouren. Das Ticket soll es im Juni, Juli und August geben. Manche fürchten Chaos und volle Züge, andere freuen sich auf eine Gelegenheit, den Umstieg vom Auto auszuprobieren. Aber hat das Ticket in einem ländlichen Raum mit hoher Autodichte überhaupt eine Chance?

Offen und positiv stehe der RMV dem 9-Euro-Ticket gegenüber, »da die Aktion unsere Anstrengungen stärkt, Fahrgäste nach der Pandemie zurückzugewinnen und wir alle Maßnahmen, die Bus- und Bahnfahren einfacher und attraktiver machen, unterstützen«, erklärt Geschäftsführer Knut Ringat. Wie der Ticketrabatt in den Geschäftsalltag umgesetzt wird, ist weitgehend offen. Insbesondere die Kostenverteilung zwischen dem Bund und den Bundesländern sei noch unklar, ergänzt der stellvertretende Pressesprecher Maximilian Meyer.

Grundsätzlich gehe man davon aus, dass die Bundesregierung alle Kosten trage. »Hierzu gehören der Ausgleich von Einnahmenausfällen und Kosten für Zusatzfahrten sowie Aufwände für die organisatorische Abwicklung. Keinesfalls darf sich die Aktion negativ auf die bereits schwierige finanzielle Situation der Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde auswirken«, so Ringat. Die gestiegenen Energiekosten hatten den RMV bereits vor Beginn des Kriegs in der Ukraine veranlasst, eine Preiserhöhung zum 1. Juli anzukündigen.

Momentan geht man beim RMV davon aus, dass das günstige ÖPNV-Ticket zum 1. Juni eingeführt wird. Die Frage, welchen Gültigkeitsrahmen die Tickets haben werden, ist geklärt. Für neun Euro erlaubt es einen Monat lang die Benutzung der Nahverkehrsmittel Bus und Bahn, ausgenommen ist der Fernverkehr der Bahn. Eine solche Ausweitung der Verbundfahrkarte hatte der RMV bereits mit seinem »Abo-Upgrade« gemacht. Jetzt richtet der Verkehrsverbund sein Augenmerk darauf, dass bei der beabsichtigten »Sonderaktion« die Interessen der Stammkunden berücksichtigt werden, von denen er rund eine Million hat.

»Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, schont die Ressourcen unseres Planeten«, betont Stefan Sitzmann vom Fahrgastverband Pro Bahn und Bus. Er sieht »das Positivste am 9-Euro-Ticket«, dass die Diskussion um »die Rolle des Nahverkehrs« belebt werde und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Stadt-Land-Gefälle: Der befristete Ticket-Rabatt »bevorzugt ausgerechnet die städtischen Regionen, in denen es einen gut ausgebauten Nahverkehr gibt und sich bei genauer Betrachtung bereits heute ein Umsteigen vom Pkw in Bus und Bahn auch finanziell lohnen würde.« Hier wäre eher eine Aufklärungskampagne sinnvoll und kein finanzieller Anreiz. »Im ländlichen Raum wird das 9-Euro-Ticket nur auf einzelnen Relationen zum Umsteigen bewegen, weil eine gute flächen- und tageszeitabdeckende ÖPNV-Versorgung fehlt«, meint Sitzmann.

Interessant seien im Kreis gut ausgebaute ÖV-Beziehungen wie die Vogelsbergbahn sowie Busrelationen mit einem dichten Fahrtangebot im Raum Alsfeld und um Lauterbach. Sein Fazit: »Vor diesem Hintergrund wäre es besser, die Mittel dauerhaft in den Ausbau eines flächendeckenden ÖPNV-Deutschlandtakts zu investieren, als sie für drei Monate in ein Billig-Ticket zu binden. Da lohnt schon der Aufwand für diese überschaubare Zeitspanne wohl kaum.«

Ganz ähnlich beurteilt Christoph Winterberg, Vorstand des Kreisverbands Vogelsberg-Wetterau des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), das Rabatt-Ticket: »Das klingt zunächst gut: Diejenigen, die Busse und Bahnen nutzen, leisten einen Beitrag zum Klimaschutz und sollen belohnt werden. Vielerorts fehlen aber attraktive Bus- und Bahnverbindungen - das kann durch günstige Tickets nicht ersetzt werden.« Er geht davon aus, dass der Verwaltungsaufwand für die Fahrkarte »immens« sein wird.

Wie die anderen Fahrgastverbände bewegt auch den VCD die Frage, was passiert nach drei Monaten, wenn die verbilligten ÖPNV-Tickets und die Vergünstigung des Sprits auslaufen? Sein Verband sei der Auffassung, dass die Bundesregierung jetzt gefordert ist, die Mittel für den Schienennahverkehr massiv zu erhöhen und durch einen Nahverkehrsbeitrag kommunale Verkehre auf dem Land auszubauen. Es müsse bundesweit »erschwingliche Sozialtickets und eine Mobilitätsgarantie« geben. »Es darf nach den drei Monaten keinen Rückfall in ein ›Weiter so‹ geben«, fordert Winterberg.

Die zeitliche Begrenzung der ÖPNV-Ticket-Förderung kritisiert auch der Fahrgastverband Pro Bahn. Man stelle sich die Frage, »ob es wirklich klug ist, diese Mittel nur für den Zeitraum von drei Monaten in der eindimensionalen Form zu verwenden«, so der hessische Landesverband. Werner Filzinger, Sprecher des Regionalverbands Osthessen, bezweifelt, dass es mit der Drei-Monats-Initiative gelingen wird, eine bedeutsame Zahl von Neukunden für Bus und Bahn zu gewinnen. Auch er verweist auf die unterschiedlich gute Ausstattung der Regionen mit ÖPNV-Angeboten.

Der PRO BAHN Landesverband Hessen hätte es viel besser gefunden, die Fahrpreise im kompletten Sortiment um zehn bis 15 Prozent zu reduzieren, sie also deutlich günstiger anzubieten, vom Kurzstreckenticket bis zur Jahreskarte. Zudem sollte der Zeitraum der Preissenkung deutlich länger sein als drei Monate - mindestens bis zum Jahresende 2022.

Die »Verkehrswende Initiative Vogelsberg« sieht ganz ähnlich den Förderungszeitraum als zu kurz an. Der Aufwand sei zu groß. Als kostengünstige Alternative sieht sie eine andere ÖPNV-Finanzierung: »Ein Nulltarif ist viel billiger.«

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