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Den Hufen der Przewalskis fehlt Schotter

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Pediküre und Medikamententest in einem: Viel Aufwand erfordert die Hufpflege für die Przewalski-Stute Kathi auf der Hohen Warte. FOTO: SCHEPP © Red

Horn abschneiden, die Kante glattfeilen: Das klingt harmlos. Doch bei Przewalski-Wildpferden ist die Hufpflege mit großem Aufwand verbunden. Erst recht, wenn das Tier per Blasrohr flachgelegt wird.

Kathi stellt sich breitbeinig auf. Ihr Kopf sinkt herab. Ihre Herde beobachtet die Stute im Extragehege von der anderen Seite des Zauns aus. Jetzt das zweite Blasrohr abschießen. Der Pfeil mit Narkotikum trifft die Schulter. Nach ein paar Minuten legt sich die Stute ermattet hin. Eine gute Stunde später wird sie leichtfüßiger traben als zuvor, befreit von viel zu langen »Fußnägeln«.

Rund 15 Experten haben sich an diesem Morgen auf der Hohen Warte versammelt für die Hufpflege eines einzigen Przewalski-Pferds. Das liegt auch daran, dass ein Forscherteam aus Berlin ein neuartiges Narkosemittel testet.

Alternative zu gefährlichem Mittel

Seit zehn Jahren leben Wildpferde im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms auf dem ehemaligen Militärgelände. Derzeit führt Hengst Spike sechs Stuten und zwei Fohlen an. Kathi ist nicht die einzige mit Hufproblemen, erklärt Christoph Goebel, Leiter des Bundesforsts Schwarzenborn. Das 23-Hektar-Gelände biete zu wenig harten Untergrund zum Abschleifen.

Pferdetierarzt Paul Momberger aus Ulrichstein nutzt Kathis Narkose für Röntgenaufnahmen der Beine: Leiden die Gelenke? Vielleicht muss die Hufpflege für die ganze Herde intensiviert werden. Nachhaltiger Abhilfe schaffen könnte eine Schotterfläche. Doch dies bedarf der Zustimmung der Naturschutzbehörden,

Kathi liegt auf der Seite, die Augen verbunden. Routiniert zwicken Hufbeschlaglehrmeisterin Melanie Striebinger und Kai Wörtge von der Lehrschmiede der Justus-Liebig-Universität das überschüssige Horn ab und feilen die Kante mit einem Winkelschleifer glatt. Ständig kontrolliert das Team vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtiere Kathis Zustand. Die Federführung liegt bei Julia Bohner. Die Tierärztin betreut im Alltag im Serengeti-Park Hodenhagen Löwen, Giraffen oder Bisons. »Aber dies ist mein Herzensprojekt«, sagt sie. Als Doktorandin am Leibniz-Institut ist sie an der Entwicklung einer neuen Narkosemethode beteiligt.

Hintergrund ist, dass der bisher meistens genutzte Wirkstoff Etorphin oder M99 immer schwerer erhältlich ist. Denn »für Menschen kann schon ein Tropfen auf der Haut tödlich sein«, so Bohner. Als Alternative wird eine Kombination aus drei bis vier Komponenten entwickelt, »die auf Alpha-2-Agonisten basiert«.

Auf Narkose kann Rangkampf folgen

Das sagt dem Laien nicht viel. Doch dass dieses Mittel langsamer wirkt als M99, sehen die langjährigen Betreuer. Vor allem der Beginn der Narkose fällt sanfter aus. Bohner erklärt: Ein Fluchttier wie das Przewalski-Pferd könne in Panik verfallen, wenn es spürt, dass die Beine plötzlich zu versagen drohen,

Eben deshalb gilt es das Aufwachen richtig zu steuern, damit das Tier verletzungsfrei aufstehen kann. Welches Mittel wie wirkt und wie viel Gegengift am Ende nötig ist, erforschen die Fachleute bei Einsätzen wie diesem. Das Körpergewicht spielt dabei eine große Rolle. Um die 300 Kilogramm wiegt ein Przewalski-Pferd. Genaueres zu ermitteln, ist gar nicht so einfach. Eigens wurde ein Traktor bestellt. Eigentlich soll er mit einer angehängten Waage die betäubte Kathi, in eine Plane eingeschlagen, anheben. An diesem Tag reicht dafür die Narkosezeit nicht. Morgen gibt es einen neuen Anlauf bei der nächsten Stute.

Kathi wird munterer, wagt ein paar Schritte. Bald darf sie zu ihrer Herde zurückkehren. Dann steht ihr eine weitere Herausforderung bevor: Ihren Platz sichern nach dem vermeintlichen Schwächeanfall vor aller Augen. Vor allem die Stute, die in der Rangordnung direkt unter ihr steht, könnte sie zum Kampf herausfordern. Gut möglich, dass sie bemerkt: Kathis Hufe sind für Tritte gerüstet - der Pediküre sei Dank.

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