Dannenröder Forst: Polizei-Chef und Waldbesetzer sehen Eskalationen sehr unterschiedlich

Polizeipräsident Bernd Paul sagt, die Polizei stehe auf der „Seite des Rechts“. Die Waldbesetzer im Dannenröder Forst klagen das „unverantwortliche Handeln“ der Einsatzkräfte an.
- Die Räumung des Dannenröder Forsts geht weiter – die Konflikte zwischen Polizei und Aktivisten verschärfen sich.
- Der Polizeipräsident von Mittelhessen kritisiert im Interview Gewaltakte und fordert mehr Dialog.
- Die Waldbesetzer machen ihrerseits der Polizei Vorwürfe: Es könnten Menschen getötet werden, glauben sie.
+++ Update 25.11.2020, 18:23 Uhr: Die Gewalt bei den Protesten im Dannenröder Forst eskaliert zunehmends. Nachdem zuvor zwei Aktivisten von Plattformen in den Bäumen gestürzt waren, fiel jetzt ein Gestell auf Baumstämmen in Richtung der Polizisten. Die Staatsanwaltschaft Gießen ermittelt wegen versuchter Tötung, wie die Deutsche Presse Agentur (dpa) berichtete. Weitere Details wurden zunächst nicht bekannt.
Bei dem Vorfall war ein sogenannter Twopod umgefallen, die Polizisten konnten gerade noch rechtzeitig ausweichen und blieben unverletzt. Die Stelle, an der der Twopod umfiel, wurde von der Polizei abgesperrt und zu einem Tatort erklärt. „Es besteht der Verdacht, dass ein Seil vorsätzlich gelöst wurde. In diesem Zusammenhang verfolgen wir eine Person, die damit in Verbindung stehen könnte“, hatten die Beamten via Twitter erklärt.
Dannenröder Forst: Waldbesetzer machen Polizei schwere Vorwürfe
Zuvor hatte der Polizeipräsident von Mittelhessen, Bernd Paul, eine weitere Eskalation im Dannenröder Forst kritisiert und sich für Dialog ausgesprochen. Die Aktivisten äußerten sich jetzt ihrerseits in einer Pressekonferenz zu der zunehmenden Gewalt. Dabei sprach der Aktivist Juri von einem „völlig unverantwortlichen Handeln der Polizei“ bei der Räumung des Dannenröder Forstes. Er beklagte, dass mehrfach in „extrem gefährlichen Situationen und Höhen“ von Beamten der Einsatz von Tasern angedroht wurde. Der Waldbesetzer forderte einen Abbruch des Polizeieinsatzes und fand dazu dramatische Worte: „Bevor durch den Polizeieinsatz noch schlimmeres passiert – oder sogar Menschen getötet werden.“
Weiter kommentierte Juri ein Statement der Polizei, dass versteckte Tonnen mit Stahlkugeln und Zwillen im Dannenröder Forst . „Niemand von uns weiß, was andere Menschen möglicherweise irgendwo vergraben haben.“ Er betonte jedoch auch, dass es sich um eine Falschmeldung der Polizei handeln könnte, wie es sie schon öfter gegeben haben soll. Er verwies dabei auf den Absturz einer Aktivistin von einer Plattform, zu dem die Polizei einen Tag lang behauptete, dass kein Beamter beteiligt war. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung im Amt.
Dannenröder Forst: Polizeipräsident betont Neutralität seiner Truppe
Erstmeldung: Der Präsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen, Bernd Paul, hat vor einer Eskalation der Proteste um den Weiterbau der A49 im Dannenröder Forst gewarnt. »Gefährdungen und Straftaten nehmen wir nicht hin«, sagte er im Rahmen eines Pressegesprächs. Er appellierte an den »überwiegend friedlichen Teil« der Demonstranten, sich nicht von einem harten Kern instrumentalisieren zu lassen, der über den Protest hinausgehend Straftaten begehe und Gewalt gegen Polizisten anwende. Diesen Kern ordnete er der linksextremen Szene zu.
Polizei beim Protest im Dannenröder Forst steht „auf der Seite des Rechts“
Die A 49 soll nach dem Lückenschluss Kassel und Gießen miteinander verbinden. Umwelt- und Klimaschützer besetzen seit über einem Jahr den Dannenröder Forst, um die Rodungsarbeiten zu verhindern. Befürworter versprechen sich eine bessere Verkehrsanbindung und weniger Fahrzeugaufkommen in den Dörfern, Gegner halten das Projekt in Zeiten der Klimakrise für anachronistisch. »Die Polizei steht auf keiner dieser beiden Seiten«, betont Paul. »Wir stehen auf der Seite des Rechts.«

Es habe viele Möglichkeiten gegeben, das Projekt zu hinterfragen oder zu stoppen. Fakt sei: Der Ausbau sei durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig. Unter den Demonstranten seien »viele liebe, junge und engagierte Menschen«, sagte Paul. Das Gros der Gegner vor Ort sei bürgerlich, setze sich für Umwelt- und Naturschutz sowie die Verkehrswende ein.
Protest im Dannenröder Forst: Situation ist schwieriger geworden
Seitdem Auswärtige wie aus Leipzig-Connewitz oder Hamburg dazugestoßen seien, habe sich die Situation aber verändert, sagt der Polizeipräsident. Sie sei schwieriger für die Einsatzkräfte geworden. Er nannte Brandvorrichtungen, Fallen, Nagelbretter und Zwillen, die gegen die Polizisten eingesetzt werden. Sie würden mit Exkrementen beworfen und beleidigt. »Das tut weh«, sagte Paul, »wir wünschen uns einen sachlichen Dialog«. Auf der anderen Seite findet es der Behördenchef erschreckend, wenn in sozialen Medien dazu aufgerufen wird, die Protestler von den Bäumen zu schießen. »Diese Verrohung hilft uns nicht weiter«, sagte Paul.
Er nahm auch Stellung zu den Vorfällen am 15. und am 21. November: Zwei Protestler waren von einer Konstruktion aus großer Höhe auf den Boden gestürzt. In beiden Fällen werden Vorwürfe erhoben, die Polizei habe die Seile durchschnitten. Paul betonte, Fälle wie dieser würden »sauber von einer anderen Dienststelle, dem Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft, als neutrale Instanz, ausermittelt« und daraus Konsequenzen gezogen. Er appellierte an die Demonstranten, sich nicht selbst in Lebensgefahr zu bringen und solche »nicht immer nachvollziehbaren Seilkonstruktionen« aufzuzeigen. »Die Gefahr ließe sich vermeiden, wenn die Leute das sein lassen würden«, sagt Paul. »Ich habe diesbezüglich große Sorgen.«
Hunderte Aktivistin aus den Bäumen im Dannenröder Forst geholt
Bisher seien »Hunderte« Protestler mit großem Aufwand von Polizeibeamten von den Bäumen geholt worden, resümiert Paul den seit einigen Wochen andauernden Polizeieinsatz. »Wir wollen, dass dies sicher geschieht und informieren die Gegner im Vorfeld über die nächsten Schritte.«
Auch das ruppige Auftreten mancher Polizeibeamter war zuletzt immer wieder kritisiert worden. Paul wies darauf hin, dass neben Einsatzkräften der Bundespolizei und aus Hessen auch Polizisten anderer Bundesländer am Einsatz beteiligt seien. »Wir sind froh über diese Unterstützung«, sagt der Polizeipräsident. »Wir sprechen das gegenüber allen Einsatzkräften an«, betonte Polizeisprecher Jörg Reinemer.
Einsatz im Dannenröder Forst noch bis zum Ende des Jahres
Das Hygienekonzept der Polizei im Hinblick auf die Corona-Pandemie bezeichnet Paul als erfolgreich: Bisher habe es einen positiv getesteten Vollzugsbeamten des Polizeipräsidiums Mittelhessen gegeben, der sich im Dienst infizierte. Optimistisch zeigt sich Paul, dass der aktuelle Einsatz bis Ende des Jahres beendet werden könne. Danach werde aber nicht Schluss sein mit Protestaktionen - und damit auch nicht für die Polizei.