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Bröckelt die Solidarität?

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Von: Kerstin Schneider

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Betten in der Notunterkunft für Flüchtlinge im Gemeinschaftshaus Flensungen. © Kerstin Schneider

Der Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine »ist aktuell nicht mehr so hoch und lässt sich bewältigen«, heißt es aus der Vogelsberger Kreisverwaltung. Vor Ort macht sich aber an manchen Stellen Murren breit. Schon zu lange seien etwa Dorfgemeinschaftshäuser mit Kriegsflüchtlingen belegt, heißt es. Vereine hätten das Nachsehen.

Städte, Gemeinden und Landkreise haben in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen untergebracht. Höhere Zuweisungen an Flüchtlingen sind für die kommenden Monate angekündigt. »Einschränkungen bei gewohnten Standards werden sich in dieser extrem angespannten Situation nicht vermeiden lassen«, so der Hessische Städte- und Gemeindebund. Die Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung wirke sich auf viele Bereiche des alltäglichen Lebens aus.

Meistens wird eine dezentrale Unterbringung der Menschen in Wohnungen angestrebt. Das stößt auf Grenzen. Passende Wohnungen sind oft nicht vorhanden oder es fehlt an der Bereitschaft, diese an Flüchtlinge zu vermieten. So werden die als Notlösungen geplanten Unterbringungen in Gemeinschaftshäusern oft zu einem Dauerzustand.

Es sei absehbar, dass bald noch mehr auf »Pensionen, Hotels, Container oder Sporthallen ausgewichen werden muss«, so der Städte- und Gemeindebund.

In machen Bereichen beginnt sich aber Unmut breit zu machen, etwa wenn Dorfgemeinschaftshäuser belegt sind. In Mücke wird zunehmend von Teilen der Bevölkerung Unverständnis über die seit Monaten andauernde Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge im Dorfgemeinschaftshaus in Flensungen und in Atzenhain geäußert. Vereine fürchten um ihre Zukunft, da ihr vertrautes Gemeinschaftshaus nicht genutzt werden kann und sie nicht gern auf andere Häuser in der Umgebung ausweichen möchten.

Vereinzelt werden die Kosten für Unterbringung und Versorgung kritisiert, die vormals breite Unterstützung bröckelt auch vor dem Hintergrund der Energiekrise und der allgemeinen Unsicherheit vor dem Winter.

In dieser Situation bittet Bürgermeister Andreas Sommer weiter um Solidarität für die vor dem Kriegselend geflohenen Menschen. Sommers Appell an die Bürger: »Sie benötigen noch immer unsere Hilfe.« Er habe Verständnis dafür, dass Vereine und andere wieder die Gemeinschaftshäuser in der gewohnten Form nutzen möchten. Doch leider gelinge es nicht, die Menschen anderweitig unterzubringen, weil kein geeigneter Wohnraum zur Verfügung steht. »Ich kann nicht einfach für 20 000 Euro im Monat Häuser für die Leute mieten.«

Die Unterbringung von Geflüchteten sei »ohne die Kommunen nicht umzusetzen«, so der Gemeindebund. Daher müssten Bund und Land »wenigstens die finanziellen Belastungen voll ausgleichen«. Das gelte nicht allein für die Unterbringung, sondern auch für die Leistungen rund um soziale Betreuung, Integration und Organisation. Es dürften nicht weiter zusätzliche Anforderungen gestellt werden. Vielerorts gibt es wie in Mücke Wartelisten für die Kita-Aufnahme. Durch den Zuzug von Geflüchteten mit Kindern ist der Bedarf weiter gewachsen. Daher müssten Standards »bei Personalausstattung und Gruppengrößen gelockert und die Mitarbeit von Nichtfachkräften in den Kitas ermöglicht werden«. Auch sollten die Grenzen für die Betriebserlaubnispflicht angehoben werden.

Wie es weitergeht, ist noch unklar. Das RP Gießen hat jedenfalls unabhängig von den Ukraine-Flüchtlingen die Zuweisungen der Flüchtlinge aus anderen Ländern wieder deutlich erhöht. Aktuell geht der Kreis hier von Zuweisungszahlen von 20 bis 30 Personen pro Woche aus. »In den vorhandenen Gemeinschaftsunterkünften sind die Kapazitäten Ende Oktober erschöpft.«

In Gemünden ist derzeit das Stockwerk über dem Feuerwehrgerätehaus Burg-Gemünden mit acht Männern aus der Ukraine belegt. Dies berührt die Belange der Feuerwehr nicht, heißt es. Andere Flüchtlinge konnten bereits Wohnungen beziehen oder sind sonst privat untergekommen.

In Homberg gibt es die Flüchtlingsunterkunft im »Gäst*innenhaus Jakob« mit derzeit sechs Personen. Reichen die Kapazitäten dort nicht, weicht man auf das nebenan liegende Dorfgemeinschaftshaus Dannenrod aus, wo derzeit ebenfalls sechs ukrainische Flüchtlinge untergebracht sind. Die Betreuung erfolgt durch Bewohner des »Gäst*innenhauses«. Es sind laut Stadt bereits viele Ukrainer in regulären Wohnungen untergekommen. Aber: »Der Markt ist ziemlich leer gefegt.«

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