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Baumaterial vom Acker

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Von: Kerstin Schneider

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Stroh vom Acker kann als Baustoff dienen. Beim Bau eines strohgedämmten Gebäudes wird so viel Energie gespart, dass davon ein Haus 69 Jahre lange beheizt werden kann. © Red

Bauen verbraucht viel Energie. Es sei denn, man nimmt ein Baumaterial, das auf jedem Getreideacker anfällt: Stroh. Fachleute schwärmen vom tollen Raumklima und sagen: Richtig verbaut muss man weder eine höhere Brandgefahr noch eine Mäuseplage fürchten. Es gibt aber Hürden.

Das Bauen mit herkömmlichen Materialien wie Zement, Stahl und Ziegel ist nicht nur rohstoff-, sondern auch energieintensiv. Rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen entfallen derzeit auf die Errichtung und Nutzung von Gebäuden. »Neben dem Erhalt und der energetischen Sanierung von Gebäuden sollten mehr nachwachsende Rohstoffe beim Bau zum Einsatz kommen«, wünscht sich deshalb Eva Riks vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH).

Während der Holzbau und die Sanierung mit Naturfaserdämmstoffen an Popularität gewinnen, ist der Strohbau noch wenig verbreitet. Dabei wächst Stroh jährlich nach und es bleibt, neben der Nutzung zur Bodenverbesserung oder als Einstreu, »in vielen Regionen genug Stroh übrig, um Gebäude zu errichten«.

Die Experten von Landesbetrieb wollen deshalb Landwirte, Handwerker und Bauherren an einen Tisch bekommen und die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten informieren. Dazu dient unter anderem das Strohbaumobil. Mit dem Gebäude im Tiny-House-Format informiert das LLH-Team »Biorohstoffnutzung« Fachleute der Baubranche, aber auch interessierte Laien. Der Strohballenbau im Holzständerwerk ist bauaufsichtlich zugelassen, auch die Brandschutzanforderungen sind geklärt. »Daher können sogar Mehrfamilienhäuser, Kitas, Schulen und andere öffentliche Gebäude in Strohbauweise realisiert werden«, so Riks.

Zahlen: Rund 120 Kubikmeter zu Ballen gepresstes Stroh und 40 Kubikmeter Holz werden bei einer Wohnfläche von 100 Quadratmetern verbaut. Wer möchte, der kann selbst Hand anlegen beim Strohverpressen. Doch das muss nicht sein, ein Strohbau kann wie ein Fertighaus nach eigenen Wünschen schlüsselfertig bestellt werden.

Dazu fertigt ein Zimmereibetrieb die Fertigbauteile mit der Strohballenfüllung vor und transportiert sie zur Baustelle. »Auf beiden Seiten ist das Stroh sichtbar und direkt verputzbar, etwa mit Lehm. Außen kann sowohl ein mineralischer Putz als auch eine Holzverkleidung die wetterdichte Fassade bilden.« Bei den Kosten kann man bis zu zehn Prozent zum herkömmlichen Bau sparen.

Das Aufstellen eines zweigeschossigen Einfamilienhauses mit Fenstern, Türen und strohgedämmtem Dach erfolge üblicherweise in einem Tag inklusive Montage der regensicheren Abdeckung.

Für den energetischen Herstellungsaufwand eines konventionellen Massivbaus (Ziegelbau mit konventioneller Dämmung und Betondecken) kann man ein gleich großes Strohgebäude errichten und rund 69 Jahre lang betreiben. »Erst dann wurde - inklusive Heizen - so viel Energie verbraucht, wie allein der Bau eines konventionellen Hauses benötigt. Eva Riks: »Ich bekomme ein hochenergieeffizientes Haus mit geringen Heizkosten und hoher Wohngesundheit - und das fast zum gleichen Preis.«

Es braucht Holz

Hürden gibt es aber: »Es fehlen Planer und Handwerkskapazitäten, so wie vielerorts«, schränkt Riks ein. Einer, der sich mit traditionellen Bauweisen auskennt, ist der Architekt Josef Michael Ruhl (Alsfeld/Herbstein). Er plant derzeit für ein Ehepaar in Lichenrod im Main-Kinzig-Kreis ein Strohhaus. Er weist auf die Vorzüge der Bauweise hin, die sehr ökologisch ist, dämpft aber auf der anderen Seite Erwartungen, dass ein solcher Bau mit Stroh deutlich billiger als ein herkömmlicher wird. Denn Vollmassiv-Strohhäuser werden nur sehr selten gebaut, »weil die mit der Zeit schrumpfen würden«. So braucht es zunächst einen Holzständerrahmen, die Wände werden mit den gepressten Strohballen gefüllt. »Holz ist derzeit nicht billig«, gibt Ruhl zu bedenken. Zudem fehlten Fachleute, die für eine solche Holzkonstruktion die Statik berechnen können. Für den Bau gebe es Fachbetriebe in Thüringen, »dort ist man schon weiter«. Seine Bauherren wollen jedenfalls auf das »unwahrscheilich angenehme Raumklima« nicht verzichten. Und mit einem Vorurteil, das er hört, kann Ruhl auch aufräumen: »Ratten oder Mäuse kommen durch das gepresste Stroh nicht durch.«

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Strohhaus im Rohbau, in die Holzkonstruktion werden die Strohballen eingesetzt. © Red

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