Viel zu tun - aber der Platz fehlt

Alsfeld (bul). »Suche größere Praxisräume, bevorzugt ein Haus oder einen Bauplatz in der Kernstadt Alsfeld zum Kauf.« So formulierte der stadtansässige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Dr. Benjamin Balser schon mehrfach in Anzeigen sein Ansinnen zum Ausbau seiner psychotherapeutischen Praxis. Begrenzte Platzverhältnisse in seinen Räumen in der Grünberger Straße, viel mehr aber das Patientenaufkommen in diesem ausschließlich auf Kinder- und Jugendlichen ausgerichteten Gebiet würden ihn zu diesem Schritt zwingen.
Das Aufkommen an Patienten hat sich bereits kurz nach der Praxiseröffnung im vergangenen Jahr dermaßen gesteigert, dass Balser eine lange Warteliste anlegen musste. Um dem Bedarf auf Dauer nachkommen zu können, hat sich der Psychotherapeut zur räumlichen und personellen Erweiterung der Praxis entschlossen. Balser hat dafür ein innovatives Konzept zur Neuansiedlung potenzieller Therapeuten im Kopf.
Die Suche nach Psychotherapeuten für Kinder- und Jugendliche bringt in der Region nur eine sehr überschaubare Anzahl zutage.
Balser: »Jetzt ist es in Alsfeld an der Zeit, die Weichen zu stellen für die Niederlassung weiterer Therapeuten. Der Bedarf ist da. Da allerdings seit Jahren junge, ausgebildete Ärzte und Therapeuten in Großstädten ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben, noch dazu kaum zurück aufs Land wollen, müssen die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass sich das Leben in der Großstadt mit der Arbeit in ruhigeren Gefilden vereinen lässt.«
Mitten in der Corona-Pandemie, im April letzten Jahres, nahm der gebürtige Darmstädter mit heutiger Wahlheimat Gießen in der Kernstadt Alsfeld seine Praxistätigkeit auf. Anfangs noch in Sorge, ob die Entscheidung zur Übernahme eines Kassensitzes wirklich die richtige Wahl sei, ließ die Bestätigung nicht lange auf sich warten. Terminanfragen stiegen dermaßen, dass der Psychotherapeut schon nach dem ersten Quartal die Anmeldungen durch eine Warteliste regeln musste. Seither könnte er rund um die Uhr arbeiten, für den einzigen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten der Stadt mit tiergestütztem Einsatz dank Hundedame Rieka gibt es allerhand zu tun.
Schon als Jugendlicher war Balser in der Kinder- und Jugendarbeit tätig. Später studierte er soziale Arbeit und arbeitete nach dem Studium in einem Kinder- und Jugendheim in Darmstadt. Dann hängte er noch ein Studium für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an, promovierte und arbeitete bis zur Eröffnung einer eigenen Praxis in der psychosomatischen Kinderklinik des UKGM Gießen. Seine Patienten vom Kindergartenalter bis junge Erwachsene haben bisweilen gravierende tiefenpsychologische Leiden. Das Spektrum der psychischen Erkrankungen ist breit gefächert. Beispielsweise gehen ein durch Trennung und Scheidung ausgelöster Verlust eines Elternteils in den meisten Fällen an einem Kind genauso wenig spurlos vorüber wie Belastungen durch Übergriffe, Stress oder Sorgen. Symptomen sind etwa Ängste, Zwänge, Verletzungsverhalten oder Essstörungen. Aber auch ADHS, Computerspielsucht, Aggression und Depression gehören zu Schwerpunktthemen seiner tiefenpsychologisch ausgerichteten Therapie.
Von PC-Spielsucht
bis Essstörung
Nun arbeitet Balser »nebenher« an einer zufriedenstellenden Praxislösung und nimmt dafür einiges in Kauf. Leider gebe der Immobilienmarkt kaum etwas her, und in einer Kleinstadt wie Alsfeld bekomme er kaum etwas von privaten Hausverkäufen mit. Reaktionen auf Balsers Anzeigen blieben überschaubar und ohne greifbares Ergebnis.
Den erhöhten Therapiebedarf führt der Psychosomatiker einerseits auf den gesellschaftlichen Umbruch zurück: Auf der einen Seite gebe es die Kinder, die daheim aus unterschiedlichen Gründen kaum Unterstützung erhalten und mit den Anforderungen der Welt überfordert sind. »Das andere Extrem sind die Eltern, die für ihre Kinder schon kleinste Stolpersteine aus dem Weg räumen. Diese Kinder leiden genauso, weil sie nie gelernt haben, mit schwierigen Situationen umzugehen«, weiß Balser. Auch tragen Corona-Krise, Ukrainekrieg und Wirtschaftskrise ihren Anteil dazu bei, dass Kinder und Jugendliche aus der Bahn geworfen werden. »Wenn ein Kind heute schon sagt, ich will mal keine Kinder in diese Welt setzen, dann braucht es Hilfe«, nennt der Experte ein Beispiel aus der Praxis.
Kita- und Schulschließungen, Homeschooling, wenig Kontakte zu Freundinnen und Freunden, kaum Möglichkeiten für Freizeitbeschäftigungen, Sport oder andere gemeinschaftliche Hobbys im Verein hätten Symptome und Auffälligkeiten noch verstärkt.
Obgleich Balser in der Therapie im Extremfall auch das Videogespräch in Betracht ziehen kann, wählen seine Patienten vorwiegend das Live-Gespräch im direkten Gegenüber. »Sie kommen bei Wind und Wetter und nehmen mitunter eine längere Zugfahrt in Kauf, um hier über ihre Sorgen und Ängste, ihre Schlafstörungen und Bauchschmerzen zu sprechen.« Eine Psychotherapie bedeutet laut Balser nicht, Leute zu verändern, sondern ihnen bewusst zu machen, wo ihre Stärken, Schwächen, Ängste und Nöte sind, um ihr Leben hin zu »lebenswerter« zu verändern. Er kann sich für die geplante Praxiserweiterung auch vorstellen, unterschiedliche Therapeuten - etwa auch Ergotherapeuten oder Logopäden - unter einem Dach zu vereinen.
Dr. Benjamin Balser ist noch auf der Suche nach Räumen für sein »Zentrum für Kindergesundheit auf seelischer Ebene«. Immobilienbesitzer könnten ihm, vor allem aber den jungen Patienten, durch Vermittlung eines Hauses sehr helfen. Der Kontakt ist über Balsers Mailadresse kjp.praxis.alsfeld@mailbox.org möglich.