1. Gießener Allgemeine
  2. Vogelsbergkreis
  3. Alsfeld

Kripo sieht Parallelen zu »K.o.-Tropfen-Bande«

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Lena Karber

Kommentare

lkl_TadoLoncar_060122_4c
Tado Loncar © Red

Vogelsbergkreis (lkl). Am Mittwoch war ein Fall, der die Kriminalpolizei Alsfeld schon seit 30 Jahren beschäftigt, Thema der Fernsehsendung »Aktenzeichen XY«: der mutmaßliche Raubmord an dem 61-jährigen Jugoslawen Tado Loncar aus dem Jahr 1991. Die Polizei erhofft sich von der öffentlichen und publikumswirksamen Präsentation des Falles im Rahmen der beliebten Fahndungssendung im ZDF Hinweise aus der Bevölkerung, die dazu beitragen, dass der Fall endlich aufgeklärt werden kann.

In einem Kurzfilm mit nachgespielten Szenen wurde zunächst dargestellt, was sich nach Erkenntnissen der Polizei damals ereignete. Anschließend war Kriminalhauptkommissar Horst Schäfer zugeschaltet, um über die offenen Fragen zu sprechen. Dabei wurden einige Details bekannt gegeben, die zuvor nicht öffentlich gewesen waren.

Mindestens 41 Männer narkotisiert

Demnach könnte der Fall in Zusammenhang mit den Taten der sogenannten K.o.-Tropfen-Bande stehen, die zwischen 1991 bis 1995 mindestens 41 Männer narkotisiert und ausgeraubt hat. Die Opfer wurden auf Autobahnparkplätzen zurückgelassen, wo einige verwirrt auf die Straße liefen und überfahren wurden - andere starben an Unterkühlung, so wie Tado Loncar, der in der Nacht auf den 7. Dezember 1991 gegen vier Uhr bewusstlos und unterkühlt auf einem Parkplatz an der A 5 in Gemünden auf der Höhe von Ehringshausen gefunden worden war. Er kam nach Alsfeld ins Krankenhaus, starb jedoch laut Polizei etwa 10 Stunden später, ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen.

Viele Jahre galt der Fall als »Cold Case«. Erst als im Zuge der Ermittlungen zur terroristischen Vereinigung NSU 2014 ungeklärte Tötungsdelikte an Deutschen mit Migrationshintergrund und Ausländern aus dem Archiv geholt wurden, stieß die Polizei auf Parallelen zu den Taten der sogenannten K.o-Tropfen-Bande, deren beiden Haupttäter 1998 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Denn ebenso wie die Opfer der Bande wurde Tado Loncar mit einem Antipsychotikum betäubt, das normalerweise etwa bei Schizophrenie zur Anwendung kommt und ohnmachtsähnlichen Schlaf- und Bewusstseinsstörungen auslöst. Die Täter verabreichten ihren Opfern das Medikament wohl in Kombination mit Alkohol, um die Wirkung zu verstärken. Zudem erweitert der Wirkstoff die peripheren Blutgefäße, was bereits bei Temperaturen unter 15 Grad zu lebensbedrohlichen Unterkühlungen führen kann. Tado Loncar war vor seinem Tod Temperaturen um den Gefrierpunkt ausgesetzt.

Herzkrank und verwitwet

Wie das ZDF ausführlich berichtete, war der 61-jährige Witwer nach Deutschland ge kommen, um seine Jahresrente abzuholen. Ab den 1970er Jahren hatte er als Maschinenbauer in Deutschland gearbeitet, war nach seiner Entlassung jedoch mit seiner Frau in seine Heimat nach Jugoslawien zurückgekehrt. Inzwischen Witwer und wegen einer Herzerkrankung Frührentner musste Tado Loncar seine kleine Jahresrente im Dezember 1991 persönlich abholen, da auf dem Balkan Krieg herrschte.

Nachdem er bei einem Freund im südhessischen Stockstadt am Rhein in übernachtet hatte, wollte er am 6. Dezember 1991 mit den 2500 Mark, einer schwarzen Tasche mit lila Streifen und einer grünen Tasche nach Jugoslawien zurückkehren. Dazu kaufte er in einem Reisebüro am Frankfurter Hauptbahnhof vor 12 Uhr ein Ticket. Doch als der Bus etwa eine Stunde später wenige Hundert Meter weiter losfuhr, war Tado Loncar nicht an Bord. Die Polizei geht davon aus, dass ihm die Täter in der Zwischenzeit das Mittel verabreicht hatten - möglicherweise in einem Getränk. Die Bande habe ihre späteren Opfer dazu oft in der Nähe von Bahnhöfen angesprochen.

Bisher gibt es laut Polizei allerdings keine Beweise, die den Verdacht gegen die Täter erhärten. Zudem waren bislang nur Taten aus Bayern bekannt. Daher hofft die Polizei nun nicht nur auf Hinweise in Zusammenhang mit dem Tod von Tado Loncar, sondern auch auf Hinweise zu möglichen weiteren Vorfällen in der Region. »Gibt es von 1991 bis 1995 Fälle im Rhein-Main-Gebiet, die seinerzeit fälschlicherweise als Suizid oder Unfall gewertet wurden? Möglicherweise aber auch Fälle, die der Polizei bis heute nicht bekannt sind - die nicht zur Anzeige gebracht wurden?«, fragt die Polizei.

Die Staatsanwaltschaft Gießen und die Polizei Osthessen ermitteln auch weiterhin wegen des Verdachts des Mordes. Wer Hinweise zu dem Fall geben kann, möglicherweise gesehen hat, wer Tado Loncar im Bereich des Busbahnhofes angesprochen hat oder ob und in welches Auto er gestiegen ist, wird gebeten, sich an die Polizeistation in Lauterbach unter der Telefonnummer 0 66 41/97 1-0 oder unter der E-Mailadresse rki-alsfeld.ppoh@polizei.hessen.de zu wenden. In begründeten Fällen können diese Hinweise auch vertraulich behandelt werden.

Für Angaben, die zur Ermittlung und Ergreifung des beziehungsweise der Täter oder Täterinnen führen, wird von Seiten der Staatsanwaltschaft Gießen eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro ausgesetzt. Die Zuerkennung und Verteilung der Belohnung erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges.

Gibt es schon neue Hinweise?

Seit Ausstrahlung des Beitrags in der Sendung »Aktenzeichen XY«, die am Mittwoch sechs Millionen Zuschauer vor dem Bildschirm verfolgt haben, erreichten die Polizei nach eigenen Angaben bereits Hinweise im zweistelligen Bereich. Für die ermittelnden Beamten ergeben sich laut einer Pressemitteilung nach derzeitigen Erkenntnissen dadurch einige neue Spuren und Ermittlungsansätze, die möglicherweise zur Klärung des Sachverhalts beitragen können und die Polizei dem Täter oder den Tätern näherbringen.

FOTO: POLIZIEIPRÄSIDIUM OSTHESSEN

Auch interessant

Kommentare