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Demokratie und Frieden verteidigen

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Von: Joachim Legatis

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Bei der Gedenkfeier in Alsfeld werden Steine mit den Namen der ermordeten Juden niedergelegt. © Joachim Legatis

Alsfeld (jol). Es wird sehr ruhig, wenn junge Leute die Namen der 49 Alsfelderinnen und Alsfelder vorlesen, die im sogenannten Dritten Reich ermordet wurden, weil sie Juden waren. Dann verteilen sie kleine Steine mit den verlesenen Namen, damit sie an der Erinnerungstafel für die Synagoge an der Lutherstraße niedergelegt werden. Die Zeremonie ist ein zentraler Bestandteil der Gedenkstunde zur Pogromnacht des 9.

November 1938.

In das Schweigen von über 50 Teilnehmern hinein sprechen die Jugendlichen der evangelischen Gemeinde die Namen der Getöteten. Darunter sind als Jüngste acht und elf Jahre alte Kinder, viele Männer und Frauen in der Lebensmitte und einige Menschen in den 70er Jahren.

In der Feierstunde erinnert Pfarrer Peter Remy an die Brandnacht von 1938. Ein Mob aus Bürgern und Nationalsozialisten verwüstete die prächtige Synagoge und zündete sie an. Der Feuerwehr wurde sehr deutlich untersagt, das Feuer zu löschen. Dann zog die Menge durch die Stadt, schlug Fenster von Läden und Häusern ein, misshandelte jüdische Familienväter.

Vor Hetze warnen

Remy schlägt den Bogen zur Judenfeindschaft heutzutage. Bilder auf der Kunstausstellung Documenta erinnerten an die Hetzkarikaturen im Dritten Reich. Unpassende Begriffe wie »Klima-Holocaust« verwischten die Eindeutigkeit in der Sprache. Es sei wichtig, immer wieder von neuem vor Grausamkeit und Hetze zu warnen. »Wir alle sind verführbar«, schließt er. »Wer Flüchtlingsunterkünfte anzündet, ist auch bereit, Synagogen anzuzünden.«

Schüler der Geschwister-Scholl-Schule hatten sich einige Gedanken zur Verfolgung von Juden gemacht, die sie bei der Gedenkveranstaltung vorgetragen haben.

Wichtig ist ihnen dabei der »Kampf gegen die Gleichgültigkeit«. Sie verwiesen bei der Veranstaltung auf heruntergelassene Jalousien in jener Nacht des 9. November 1938. Dieses Wegsehen war Teil der Grausamkeit, die Menschen angetan wurde. Verschweigen und Wegschauen helfe nur den Unterdrückern und nicht den Verfolgten.

Bürgermeister Stephan Paule griff diesen Gedanken gleich auf und meinte, »wer sich neutral verhält, der hilft den Unterdrückern«. Er stellte den Gedenktag an die Pogrome von 1938 in eine Reihe anderer Ereignisse mit jenem Datum. 1918 wurde die Republik ausgerufen, die einige Jahre später wieder angegriffen und schließlich zerstört wurde. Man müsse dafür eintreten, dass alle Menschen in einem Land gleiche Rechte haben. »Wir dürften nicht schweigen, wenn Unrecht geschieht.« Das gelte auch für den russischen Überfall auf die Ukraine. »Wir müssten helfen, Demokratie und Frieden zu verteidigen«, appelliert Paule an die Teilnehmer der Gedenkstunde.

Den musikalischen Rahmen der Veranstaltung übernahm eine Bläsergruppe der show- und brass-Band. Ein Polizeifahrzeug blockierte die Durchfahrt der Straße Hinter der Mauer für die Veranstaltung. In Vorjahren hatten einige Autofahrer darauf bestanden, während der Beiträge ein Recht zur Durchfahrt durch die Menge zu haben.

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