»Bombennächte noch im Kopf«

Vogelsbergkreis (jol). Mit seinem ersten Roman kommt das ehemalige »Gesicht des Vogelsbergkreises«, Erich Ruhl-Bady, wieder in seine alte Heimat. Der seit zwei Jahren im Vordertaunus lebende ehemalige Pressesprecher der Kreisverwaltung stellt seine Großvater-Vater-Sohn-Geschichte vor. Der Titel »Vaterfern Mutterstill« verweist schon darauf, dass das Verhältnis des Hauptprotagonisten zum Vater von Distanz und das zur Mutter von bedrückendem Schweigen geprägt ist.
Beim Gespräch mit einem Erdbeer-Eisbecher auf dem sonnigen Alsfelder Marktplatz erzählt Ruhl-Bady, dass er über Gedichte zum Schreiben des Romans gekommen ist. Im Mittelpunkt des Werks steht Leander, der in den 1970er Jahren den Kriegsdienst verweigert. Damals war noch ein Antrag bei einer Behörde notwendig, um aus Gewissensgründen vom Dienst an der Waffe frei gestellt zu werden. Hierfür bestätigen der Vater, die Mutter und der Pfarrer mit Briefen, dass der 18-Jährige Pazifist ist.
Die Verweigerung gelingt nach eingehender mündlicher Verhandlung, doch mit den Briefen verwoben sind Rückblicke auf die Erfahrungen seiner Eltern. Der Vater ist als Außendienstmitarbeiter viel abwesend, die Mutter hat die Erlebnisse des Kriegs nie verwunden. Ruhl-Bady zeichnet so ein Porträt der Aufbauzeit in Westdeutschland, in der noch viel Kriegserfahrung nachklang. So war Vater Heinrich einst ein überzeugter Parteigänger der Nationalsozialisten und begeistert in die Schlachten des Weltkriegs gezogen. Doch nach 1945 wandelte er sich zum Liberalen und unterstützt später die Entscheidung des Sohnes.
Ebenso geprägt ist die Mutter, die auch nach dem Krieg »die Bombennächte noch im Kopf hatte«, wie Ruhl-Bady zusammenfasst. Im Buch erkennt Leander, »er konnte ihr nicht die Angst aus den Nerven ziehen, die wie die Erinnerung an die Leuchtspurmunition der Bombennächte in Stettin in ihr lebendig war«. Noch kurz vor Kriegsende war ihr erster Ehemann im Krieg gefallen, als 20-Jährige flieht Lotte mit einem Säugling auf dem Arm vor der heranrückenden russischen Armee.
Dabei geht es Ruhl-Bady darum, die Zerrissenheit der Menschen aufzuzeigen, die Nationalsozialismus, Herrenmenschentum und Krieg überlebt haben und dann in einer demokratischen Gesellschaft ihren Weg finden müssen. Dabei bleiben die alten Verletzungen stets spürbar.
Lesung in Maar
Das Schreiben dieses Familienromans hat ihm viel Freude bereitet, sagt der Autor. Froh ist er über das gute Lektorat durch den Verlag Kleine Schritte. So wurde das eigentlich vorgesehene Vorwort und das Postscriptum in den Roman integriert. »Ich habe gemerkt, dass das Buch dadurch besser geworden ist«, freut sich Ruhl-Bady.
Den Roman hat er erst geschrieben, nachdem er mehrere Gedichte in demselben Verlag veröffentlicht hat. Dabei kommt Erich Ruhl-Bady zugute, dass er lange Jahre vom Schreiben gelebt hat. Allerdings schulte er seinen Stil an Pressemitteilungen, die er für den Vogelsbergkreis verfasst hat. Aber er ist ein geübter Schreiber, das erkennt der Lesende schnell. Da wollte eine Geschichte erzählt werden, merkt er bei der Frage nach seinem Motiven an.
Der Roman ist nicht chronologisch, die Ereignisse stehen nebeneinander, auch wenn Jahrzehnte dazwischen liegen. Das Buch ist »nicht nur autobiografisch«, auch wenn Hauptfigur Leander in etwa dem Geburtsjahrgang Ruhl-Badys entstammt. »Der Roman hat autobiografische Eckpunkte«, formuliert es der Autor. Es ist aber kein Tagebuch.
Der Roman erscheint Ende Mai, bereits am 2. Juni stellt Ruhl-Bady Auszüge daraus in einer öffentlichen Lesung im Vogelsberg vor. Auf Vermittlung der Lauterbacher Buchhändlerin Gerlinde Becker hat er hierfür die neue »Galerie im Fuhrhof« der Familie Breitenbach in Lauterbach-Maar gewählt. Das ist »back to the roots«, Erich Ruhl-Bady hat bis auf einige Jahre in Groß-Gerau, Grebenhain und Alsfeld fast das ganze Leben in Lauterbach verbracht.