»Als Einzelperson unwichtig«

Diese Woche wird vor dem Landgericht Gießen wieder gegen »UwP1« verhandelt, die ihre Unterstützer »Ella« nennen. Bald könnte es ein Urteil geben und »Ella« freigelassen werden. Wer sie ist? Das wird man auch dann vermutlich noch nicht wissen.
Da ist diese Frau, die ihren Namen nicht nennt. Die offenbar niemand kennt. Über die niemand etwas weiß. Sie sitzt auf der Anklagebank, weil sie Polizeikräfte verletzt haben soll. So sieht es die Staatsanwaltschaft in Gießen. Die Frau sagt, sie habe den Dannenröder Forst vor der Rodung schützen wollen. Wenn sie denn etwas sagt. Die Frau wird »Ella« genannt oder UwP1. Ella ist Spanisch und heißt »sie«. UwP1 ist Amtsdeutsch und heißt »Unbekannte weibliche Person 1«.
Den Namen Ella haben ihr ihre Unterstützer aus der linken Szene gegeben, die das Gerichtsverfahren vom ersten Tag an verfolgen und immer wieder für ihre Freilassung demonstrieren. So soll sie auch in diesem Porträt heißen. Ein Porträt? Dafür sollte man mit der porträtierten Person sprechen oder sie zumindest gut kennen. Wir haben Ella nie gesprochen. Dennoch ist Ella ein interessanter Mensch, der im Mittelpunkt eines hochinteressanten Falls steht. Deshalb schreiben wir über sie - ohne mit ihr zu sprechen.
Wohl aber mit Kontakt zur Frankfurter Strafverteidigerin Waltraut Verleih, die Ella gemeinsam mit der Rechtsanwältin Eva Dannenfeldt vor dem Landgericht Gießen vertritt. Beide wissen nicht, wie ihre Mandantin heißt. Aber damit kommen sie klar, sie haben Ella nie nach ihrem Namen gefragt. »Es ist ihr gutes Recht, auch uns nicht zu sagen, wie sie heißt«, sagt Verleih.
Die Geschichte, die Ella für die Medien so interessant macht, beginnt am 26. November 2020. Zu dieser Zeit lebt sie schon länger im Dannenröder Forst. Das Waldstück ist von Umweltaktivisten besetzt, die den Bau der A49 verhindern wollen. An jenem Tag räumt die Polizei wieder Baumhäuser. Ella soll Widerstand geleistet haben. Sie wird festgenommen. Sie ist nicht die Einzige im Gefangenenbus. Aber sie ist die Einzige, die ihren Namen nicht nennt. Die gar nichts über sich sagt.
Wie alt sie ist, wo sie herkommt, das alles bleibt offen. Das alles ist bis heute unbekannt, was verrückt klingt in einer digitalen, vernetzten Welt. Der Vorwurf: Ella soll unter anderem einem ungesicherten Beamten eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in 15 Meter Höhe ins Gesicht und gegen den Kopf getreten haben. Kurzzeitig steht sogar der Vorwurf des versuchten Totschlags im Raum. Später sollen die Dinge vor Gericht eine andere Wendung nehmen. Nur eines bleibt gleich: Ella sagt nichts über sich.
Warum sie keine Angaben macht? Ella finde, sie sei »als Einzelperson unwichtig«, teilen ihre Verteidigerinnen mit. Ihr gehe es »um Einigkeit und um ein Zusammenstehen für eine bessere Umwelt«. Sie sehe sich als Teil einer Bewegung. »Ella möchte als Mensch gesehen werden - ungeachtet von Hautfarbe, Alter, Geschlecht oder Herkunft«, sagt Verleih.
Das Amtsgericht Alsfeld verurteilt die Angeklagte zu zwei Jahren und drei Monaten Haft. Verteidigung und Staatsanwaltschaft legen Berufung ein. Vor dem Landgericht Gießen macht Ella dann erstmals eine längere Aussage - in Form eines Gedichts. In dem Stress der Räumung habe ein »Überlebensinstinkt« von ihr Besitz ergriffen, sagt sie in sehr gutem Englisch: »Und mein Körper reagierte auf eine Weise, welche die Polizei kränkte.«
Dieser Auftritt vor Gericht wirkt empathisch. Er passt nicht zum Bild, das die Anklage von ihr zeichnet. Darin geht es um eine Frau, die sich mit Händen und vor allem mit Füßen gegen die Räumung wehrte, der das Wohl der Polizeikräfte bestenfalls egal war. Die zutrat, obwohl die Polizisten, die sie vom Baum holen wollten, nicht gesichert waren. Die Realität sieht anders aus. Die SEK-Beamten waren durchaus vollständig mit Seilen gesichert, wie sie mittlerweile selbst einräumten. Alles andere wäre auch absurd. Warum sollten sich Polizisten ohne ausreichende Sicherung in 15 Meter Höhe auf eine körperliche Auseinandersetzung einlassen? Auch an der Schwere der Verletzungen der beiden Polizisten, die als Zeugen aussagten, gibt es Zweifel.
Hauptvorwurf waren immer Tritte, ins Gesicht und gegen den Kopf eines der Beamten. Dieser Vorgang führte zur hohen Strafe im ersten Prozess. Doch ein Video legt nahe, dass Ella den Mann überhaupt nicht getroffen hat.
Sehr vieles spricht dafür, dass Ella schon frei wäre, wenn sie sagen würde, wie sie heißt. Nach 15 Monaten in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim. So aber scheiterte die Verteidigung mit ihrem Antrag auf Entlassung aus der Haft. Womöglich ist Ella - ohne es zu wollen - eine Provokation für die Justiz. Dass Angeklagte vor Gericht zu den Vorwürfen schweigen, ist nicht unüblich. Dass sie aber nicht sagen, wer sie sind, ist extrem selten. Doch Ella bleibt bei ihrer Linie. So bleibt den Medien nur, über ihre Herkunft zu spekulieren. Spanien, hieß es erst, zwischenzeitlich tippten viele auf Schweden. Neuestes Gerücht: Ella kommt aus Südamerika.
Waltraut Verleih beteiligt sich nicht an solchen Spekulationen. Sie verweist lieber darauf, was die Polizei über ihre Mandantin herausgefunden hat oder besser nicht herausgefunden hat.
Ihre Fingerabdrücke wurden unter anderem an eine europaweit funktionierende Datenbank geschickt. Es gab keine Übereinstimmung. Das spricht dafür, dass Ella vor dem 26. November 2020 nie festgenommen wurde und nicht vorbestraft ist.