Ärgerliche Wurzelbehandlung

Nachbarschaftsstreitereien sind ein weites Feld. Immer wieder beschäftigen sie die Gerichte. Doch was Silvia Simon erlebte, das hätte sie nicht für möglich gehalten. Sie ist vom Amtsgericht Alsfeld dazu verurteilt worden, die Wurzeln auf dem Nachbargrundstück auszugraben. »Das ist kein Witz«, sagt sie.
Simon hatte vor sieben Jahren zwei nebeneinander liegende Grundstück im idyllischen Mücker Windhain mit an die 120 Nadelbäumen gekauft. Die Fichten waren in den 1980er Jahren vom Vorbesitzer gepflanzt wurden, zum Teil direkt an der Grundstücksgrenze. Je nach Dringlichkeit und wo sie störten, ließ Simon danach rund 25 der Bäume fällen.
Als vor einigen Jahren ein Nachbargrundstück an einen neuen Eigentümer aus Frankfurt verkauft wurde, hatte sie sämtliche Bäume entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze kappen lassen, damit keine Äste mehr über den Zaun ragten. »Obwohl es eher Ästchen waren.«
Im Frühjahr 2019 habe sich der Nachbar dann beschwert, es würden noch Äste auf sein Grundstück ragen. Auch diese habe sie entfernt, sagt Simon im Gespräch. Einige Monate später habe der Nachbar sie recht erbost aufgefordert, auch sämtliche Wurzeln auf seinem Grundstück zu entfernen, weil er einen Carport bauen wolle und er zudem auf dem betreffenden Rasenstück schlecht mähen könne. »Einen Schaden durch die Wurzeln gab es nicht«, sagt Simon.
Obwohl sämtliche von ihr befragte Institutionen oder Experten wie Ordnungsamt, Amt für den Ländlichen Raum oder auch Anwälte damals sagten, dass der Nachbar keinerlei Chancen diesbezüglich hätte, geschah das: »Er bekam vor Gericht doch recht. Ich musste die Wurzeln auf meine Kosten entfernen lassen.«
Zudem wurde sie dazu verdonnert, die Kosten des Verfahrens zu tragen. So ganz fassen kann es Silvia Simon nicht, wie ihr vor Gericht geschehen ist. Sie verweist unter anderem auf ein Urteil des Landgerichts Hannover. Das hatte in einem ähnlichen Streit entschieden, ein Grundstückseigner müsse sowohl die vom Nachbargrundstück herüberwachsenden Baumwurzeln als auch den Schatten, den Bäume werfen, dulden, weil es sich dabei um »natürliche Vorgänge« handele.
Bekannt sind ihr auch Aussagen von Anwälten aus ähnlich gelagerten Fällen, dass die Wurzeln nur entfernt werden müssten, wenn ein Schaden entstehe. Etwa wenn Gehwegplatten hochgedrückt werden. »An dieser Stelle ist aber nie ein Schaden entstanden.«
Nachdem sie sich im Recht glaubte, sagte sie dem Nachbarn, seine Forderung sei unverschämt. Darauf sei der Nachbar mit seinem Anwalt erschienen und habe die sofortige Entfernung der Wurzeln verlangt. »Ich lehnte mit Hinweis auf die aktuelle Rechtslage ab«, erzählt Simon. Ein Schiedsmann wurde 2020 eingeschaltet und der Nachbar bot an, er werde die Wurzeln selbst entfernen, aber Simon müsse den Zaun an der Grundstücksgrenze wegnehmen. Das lehnte sie ab.
Das Entfernen des Zauns sei mit hohem Aufwand verbunden, weil er teilweise im Boden eingewachsen ist. Und da sie Hunde hält, brauche sie den Zaun.
Daraufhin verklagte der Nachbar Simon und es kam zur Gerichtsverhandlung. Nun folgt die große Überraschung, das Gericht verurteilte sie dazu, alle in das Nachbargrundstücke hineinwachsenden Wurzeln und sonstigen Gewächse im betreffenden Bereich zu beseitigen.
Zuvor war das Grundstück auch vom Richter besichtigt worden. Im Urteil hält er fest, dass die strittigen Wurzeln, die mehrere Zentimeter über die Erdoberfläche hinausragen, »den Kläger beim Rasenmähen beeinträchtigen«. Zudem sei die Nutzung des Grundstücks durch die Wurzeln beeinträchtigt. Auch hin-überragende Zweige würden die Nutzung des Grundstücks beeinträchtigen.
Simon: »Nicht zuletzt denke ich, dass es in Zeiten von Klimawandel ein geradezu skandalöses Urteil ist, wenn die Wurzeln gesunder Bäume nun weggeklagt werden dürfen, werden auch kerngesunde Bäume absterben, für die es ja eigentlich einen Bestandsschutz gibt. Keine schönen Aussichten für die Natur.«
Viele ähnliche Fälle auf dem Land?
Die Sache sei rechtskräftig abgeschlossen und nicht mehr zu ändern. Dennoch will sie ihren Fall auch als eine gewisse Mahnung verstanden sehen: »Das Thema dürfte gerade im ländlichen Raum wie im Vogelsberg von Interesse sein. Allein bei uns hat jeder zweite Bewohner Wurzeln vom Nachbarn auf seinem Grundstück und jeder wäre demnach berechtigt, per Urteil die sofortige Entfernung durchzusetzen. Auch auf Kommunen könnte da einiges zukommen, sollte sich das herumsprechen.«