Tattoo-Farben-Verbot ab Januar 2022: Das Aus für bunte Tätowierungen?

Auf Tattoo-Liebhaber kommt ein Verbot zu: Bald verbietet die EU Substanzen, die in fast allen Tattoo-Farben enthalten sind. Ist die REACH-Verordnung das Ende der bunten Kunstwerke?
Gießen – Mittlerweile ist Körperkunst kein Nischenthema mehr: Laut einer Umfrage des Ipsos-Instituts von 2019 hat jeder fünfte Deutsche eine Tätowierung. Sehr bald wird sich allerdings für Tattoo-Künstler und ihre Kunden einiges ändern, denn eine neue EU-Verordnung verbietet dann wichtige Inhaltsstoffe von Tattoo-Farben.
Ab dem 4. Januar 2022 gilt die sogenannte REACH-Verordnung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Sie wurde erlassen, um Menschen und die Umwelt vor den Risiken zu schützen, die durch Chemikalien entstehen können. REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (auf Deutsch: Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe). Die Verordnung gilt in der gesamten Europäischen Union und damit auch in ganz Deutschland. Tattoo-Farben sollen ein solches Risiko bergen, indem sie beispielsweise Allergien hervorrufen oder zu genetischen Mutationen sowie Krebs führen, so ECHA.
Verordnung REACH hat Auswirkungen auf Tattoos: 4000 Inhaltsstoffe sind betroffen
Die REACH-Verordnung betrifft circa 4000 Substanzen für Kosmetika. Dazu zählen demnach auch Nagellack oder Lidschatten. Nicht alle dieser Substanzen sind in Tätowierfarben enthalten, seien aber wenig erforscht und deshalb potenziell gefährlich, erklärt die ECHA. Unklar ist jedoch, wie gesundheitsschädlich Tattoo-Farben tatsächlich sind. „Um da mehr herauszufinden, müsste man auf Tierversuche zurückgreifen, im Wesentlichen mit Schweinen“, erklärt Urban Slamal, Jurist und Vorsitzender des Bundesverbands Tattoo e.V., der Interessenvereinigung deutscher Tätowierer, gegenüber sueddeutsche.de. „Da Tätowierfarben in diesem Bereich mehr oder weniger bei den Kosmetika mitschwimmen, gibt es hier aufgrund der Verordnungen zum Tierwohl ziemlich große Hürden.“

Das bedeutet konkret: Nach aktuellem Stand können Tätowierer in der EU ab kommenden Januar einen Großteil ihrer Farben nicht mehr benutzen. Ein Jahr später zieht sich die Schlinge für solche Künstler, die sich auf Farb-Tätowierungen spezialisiert haben, noch weiter zu: Ab Januar 2023 werden zusätzlich die Pigmente Blue 15:3 und Green 7 verboten, die für zwei Drittel der bunten Tattoo-Farben gebraucht werden. Vor allem ohne den Blauton werden bunte Tätowierungen mehr oder weniger unmöglich, wenn bis dahin kein gleichwertiger Ersatzstoff gefunden wird, sagt Slamal. Lediglich wenige Schwarz-, Weiß- und Grautöne erfüllen dann noch die Anforderungen der Verordnungen und können sicher eingesetzt werden. Das stößt bei Tätowiererinnen und Tätowierern auf Kritik und noch mehr Verunsicherung. Während der Corona-Lockdowns zählten Tätowierer als körpernahe Dienstleister* mit ihren Studios zu den Einrichtungen, die meist erst ganz zum Schluss wieder öffnen durften – viele verloren dadurch ihre Existenzgrundlage.
Tattoo-Farben-Verbot: Es mangelt an Alternativen - zukünftig nur noch schwarz, weiß, grau erlaubt?
Was ist die Alternative? Die zumeist US-amerikanischen Hersteller der Farben hätten laut Slamal bisher wenig Interesse gezeigt, sich der neuen Richtlinie anzupassen. Bis die Verordnung in Kraft trete, sei da nichts mehr zu machen, meint der Tattoo-Bundesverbandsvorsitzende: „Marktvereinfachende und verbraucherschützende Maßnahmen sind großartig, aber wenn, dann bitte richtig, nicht unter Ignorierung sämtlicher fachwissenschaftlicher Einwände. Das ist wie ein Öltanker unter Volldampf, den kriegt man nicht mehr so schnell angehalten.“
Mittlerweile bieten einige wenige Hersteller REACH-konforme Farben an, andere haben solche angekündigt. Diese sind jedoch bereits ausverkauft und ihre Qualität und Haltbarkeit ungetestet. Ob die Farben in einigen Jahren noch schön unter der Haut aussehen, ist völlig unklar. Wie sueddeutsche.de berichtet, gibt es Initiativen gegen REACH: Der Deutsche Bundesverband habe sich mit einer Brüsseler Kanzlei kurzgeschlossen, die prüfen soll, was rechtlich noch möglich sei. Die in Kopenhagen ansässige Europäische Gesellschaft für Tattoo- und Pigmentforschung habe die europäische Bürgerbeauftragte Emily O‘Reilly offiziell um eine rechtliche Prüfung der Verordnung gebeten.
Tattoo-Farben-Verbot in der EU: Initiativen und Online-Petitionen auf dem Vormarsch
Auf der Online-Petitionsseite des Europäischen Parlaments gibt es eine Initiative mit dem Titel „Save the Pigments“, in der es heißt, die Verordnung könne „nicht im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsgedankens sein, da sie weder ihre selbständigen Unternehmer noch die Konsumenten schützt“. Das Ausweichen auf Drittländer fördere Schwarzarbeit und reduziere Steuereinnahmen. Die Initiatoren der Petition, Michael Dirks und Erich Mähnert, wollen damit das Verbot durch die ECHA verhindern, da es auf einem Verdacht basiere: „Das Deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung hat am 8. September 2020 in einer Stellungnahme veröffentlicht, dass derzeit verfügbare Daten nur auf eine vergleichsweise geringe Toxizität hinweisen. Es sieht daher keinen Handlungsbedarf, die Pigmente zu verbieten. Diese Stellungnahme der beratenden Institution für Verbraucherschutz der deutschen Bundesregierung zeigt eindeutig, dass das Verbot auf Basis einer nicht ausreichenden Datenlage und außerdem ohne Einbindung der betroffenen Branche bestimmt wurde“, heißt es in Dirks Statement.
Wie feelfarbig.de berichtet, haben Dirks und Mähnert einen Resolutionsantrag gestellt, den sie im EU-Parlament einbringen möchten. Dieser soll bewirken, dass die REACH-Verordnung entsprechend der aktuellen wissenschaftlichen Daten angepasst wird. Die Verordnung in ihrer jetzigen Form soll so mitsamt ihrer Konsequenzen für den Tattoo-Markt zunächst gestoppt werden. (laf) *giessener-allgemeine.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.