Vom »Drachen« zur Erfolgstrainerin?

(sid). Wenn Wendie Renard in diesen Tagen über die Wandlung ihrer Trainerin spricht, wirkt es fast so, als hätte es das Chaos nie gegeben. Jene Streitigkeiten und all die Tränen etwa, damals im Juni 2019, als das enttäuschende Viertelfinal-Aus der französischen Fußballerinnen bei der Heim-WM besiegelt war - und die Kritik am Führungsstil der umstrittenen Nationaltrainerin Corinne Diacre immer lauter wurde.
Heute, drei Jahre und etliche Diskussionen später, soll der Umgang ein anderer sein. So betont es jedenfalls Ausnahmespielerin Renard, die einst entmachtet, nach einer Versöhnung aber wieder zur Kapitänin ernannt wurde.
Sie nehme Diacre anders wahr, die Kommunikation sei besser, versicherte sie kürzlich in einem Interview mit »Le Figaro«, die Trainerin sei sich vieler Dinge bewusst geworden und habe einiges in der Vorgehensweise korrigiert.
Nach außen demonstrieren Les Bleues vor dem EM-Halbfinale gegen Deutschland am Mittwoch (21.00 Uhr/ZDF und DAZN) in Milton Keynes Geschlossenheit. Das hochbegabte Team, das in den vergangenen Jahren immer wieder viel zu früh auch an sich selbst gescheitert war, wolle bei dieser EM »Geschichte schreiben«, betonte Diacre nach dem erstmaligen Einzug in die Vorschlussrunde.
Die Stimmung soll so gut wie nie zuvor sein. Und das, obwohl lange vor allem die schmerzhaften Erinnerungen präsent waren, wie jene der ausgemusterten ehemaligen Kapitänin Amandine Henry. Sie habe »Mädchen in ihrem Zimmer weinen sehen«, es sei das »totale Chaos« gewesen, berichtete sie im November 2020 bei Canal+ über die WM ein Jahr zuvor - und Diacre, die intern auch als »Drache« bezeichnet wurde.
Fehlendes Feingefühl, kaum Empathie, unverständliche Personalentscheidungen - in der Öffentlichkeit wird von Diacre das Bild einer äußerst kühlen, teils unbeliebten Trainerin gezeichnet. Doch offenbar passte die 47-Jährige, die vor ihrem Amtsantritt 2017 bereits in der 2. Liga die Männer von Clermont Foot trainiert hatte, ihren umstrittenen Stil an. Im Team soll es inzwischen stimmen.
Die Dramen abseits des Platzes, wie die deutlichen Differenzen mit Rekordtorschützin Eugenie Le Sommer, Torhüterin Sarah Bouhaddi oder eben jener Henry, die allesamt bei dieser EM fehlen, sind für die 121-malige Nationalspielerin Diacre wohl nur Nebengeräusche - trotz aller Kritik. Auch vor dem Duell mit den DFB-Frauen.
Und obwohl die Französinnen beim hart erkämpften 1:0 nach Verlängerung gegen die Niederlande Moral und Teamgeist zeigten, bleiben Zweifel in der Grande Nation. Der französische Fußballjournalist Theo Troude etwa glaubt nicht an einen Wandel, die Mannschaft, sagte er dem »Guardian«, sei »eine tickende Bombe«. Diacre und ihren Spielerinnen bleibt weiter die Chance, das Gegenteil zu beweisen.