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Stürmisches Jobsharing

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Alexandra Popp © Imago Sportfotodienst GmbH

(hel). Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Diese gängige Redewendung gilt gerade nicht bei den deutschen Fußballerinnen, die gefühlt auf einer rosaroten Wolke über London schweben, so viel Harmonie leben alle vor. Wenn sich nämlich Lea Schüller und Alexandra Popp Einsatzzeiten und Toreschießen bei dieser EM so wie beim Auftakt gegen Dänemark (4:

0) schwesterlich teilen, ist für die Dritte im Bund der Stürmerinnen kein Platz. Laura Freigang wirkt dann fast überflüssig. »Ich bin der X-Faktor«, glaubt die 24-Jährige. Sie wird wohl gebraucht, wenn vorne gar nichts mehr geht. Das aber kann dauern. Trotzdem hat die Frohnatur von Eintracht Frankfurt am Freitagabend fleißig Autogramme geschrieben und die Selfies für die Fans sogar selbst geknipst.

Frust schieben bringt nichts: Freigang weiß ja, dass Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg auch ohne sie ein Luxusproblem fürs Sturmzentrum hat. Schüller, 24 Jahre, 40 Länderspiele, 26 Tore, ist erste Anlaufstelle eines laufintensiven Pressings. Selbst wenn die Bundesliga-Torschützenkönigin vom FC Bayern nicht das 2:0 geköpft hätte - als sie sich fast in Manier ihres früheren Lehrmeisters Horst Hrubesch in die Luft schraubte - wäre niemand auf die Idee gekommen, ihre Startelfnominierung zu hinterfragen. Die in München oft nur eingewechselte Angreiferin braucht Vertrauen.

Schüller machte nach gut einer Stunde Platz für Popp, 31 Jahre, 115 Länderspiele, 54 Tore. Kurz vor Schluss flankte Sydney Lohmann butterweich und die Stürmerin setzte zu dem an, was die Bundestrainerin später »ein typisches Alexandra-Popp-Tor« nannte. Ein Flugkopfball aus zwei, drei Meter Entfernung. Die Freudentränen unterdrückte sie in der Jubeltraube nur mühsam. »Da musste ich mich kurz verstecken«, erzählte sie. »Sich nach dieser Zeit mit einem Tor zu krönen, tut einfach gut.«

Wenn jemand den ersten EM-Treffer verdient hat, dann die gerade in einem Mickey-Maus-Heft abgebildete Stehauffrau. Zum Abriss des Knorpels in der Kniescheibe und der Angst um die Karriere setzte sich in der Vorbereitung noch eine Corona-Infektion obendrauf. Vielleicht hätte Popp, die sowohl die EM 2013 wegen einer Sprunggelenksverletzung als auch die EM 2017 wegen eines Meniskusrisses verpasste, den Weg zurück in die Nationalelf ohne Voss-Tecklenburg nicht geschafft: Beide kennen und schätzen sich aus erfolgreichen Duisburger Zeiten seit mehr als einem Jahrzehnt.

»Poppi hatte keinen einfachen Weg«, betont die Bundestrainerin. Gerade die Frage nach ihrer Fitness hätte die ausgebildete Tierpflegerin enorm beschäftigt. »Wir wollten ihr den Glauben geben, dass wir sie in diesem Turnier brauchen. Wenn auch nicht im ersten Spiel über 90 Minuten, vielleicht auch nicht im zweiten oder dritten.« Popp sieht ein, dass gegen Jobsharing nichts einzuwenden ist. »Es ein sehr großer Mehrwert, solche zwei Stürmerinnen in den Reihen zu haben. Wenn Lea vorher alle schwindelig spielt und ich dann vollstrecken darf, dann unterschreibe ich das - erst recht, wenn dies das Erfolgsrezept zum Titel ist.« Und vielleicht braucht es dafür irgendwann noch eine Zutat von Freigang. FOTO: IMAGO

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