Stojilkovic rettet Lilien Punkt

Die noch immer unter dem Neapel-Schock stehende Eintracht tritt in Leipzig seltsam mutlos auf. Die Folge ist eine verdiente 1:2-Niederlage der Frankfurter, die eine ganz schwache erste Hälfte spielen.
(dpa/sid). Fabian Holland hält jegliche Träumerei von einem Bundesligaaufstieg für verfrüht. »Das ist natürlich noch eine weite Reise. Auch wenn man sieht, was jetzt noch für Spiele auf uns warten«, betonte der 32 Jahre alte Mannschaftskapitän von Darmstadt 98 nach dem 1:1 (0:1) im Spitzenspiel der 2. Fußball-Bundesliga gegen den Tabellenzweiten Hamburger SV. »Ich glaube, große Töne spucken war noch nie so unser Ding und deshalb schauen wir mal nach Heidenheim.« Am Samstag muss der seit 21 Ligaspielen ungeschlagene Tabellenerste beim baden-württembergischen Verfolger antreten.
Gegen den HSV zeigten die »Lilien« einmal mehr ihren Kampfgeist auch gegen große Gegner. Lange lief das Team nach dem frühen Tor in der vierten Minute durch Ransford Königsdörffer einem Rückstand hinterher. Doch Darmstadt kämpfte weiter und drängte auf den Ausgleich. »Wir sind auf dem Gaspedal geblieben. Die Mannschaft hat pure Willenskraft gezeigt«, resümierte Trainer Torsten Lieberknecht. In der 81. Minute konnte sein Team vor 16 800 Fans im ausverkauften Stadion am Böllenfalltor dann endlich jubeln. Winter-Neuzugang Filip Stojilkovic traf zum 1:1-Endstand und bewahrte so den Vier-Punkte-Abstand der Hessen zum hanseatischen Ligazweiten. »Wir sind immer geduldig geblieben und haben an uns geglaubt. Die Mentalität in dieser Mannschaft ist wirklich gut, das zahlt sich am Ende oft aus«, sagte der Torschütze, für den es auch vom Trainer Lob gab: »Der Treffer von Filip Stojilkovic war überragend, das war ein Augenschmaus«, lobte der 49-Jährige.
Trainer und Spieler machten nach dem Remis keinen Hehl daraus, dass es nach dem späten Tor und einem kämpferischen Spiel auch Hoffnung auf mehr gab. »Durch den Zeitpunkt des Tores sind wir mit dem Punkt zufrieden, obwohl auch ein Sieg möglich gewesen wäre«, sagte Lieberknecht. Doch der Punktgewinn bringt Selbstvertrauen. »Man hat wieder gesehen, dass wir uns vor keinem verstecken müssen. Hamburg hatte angekündigt, uns dominieren zu wollen, davon war wenig zu sehen«, resümierte Holland.
HSV-Trainer Tim Walter haderte: »Das ist sehr bitter, auch wenn das Remis unter dem Strich leistungsgerecht ist.« Er hatte Königsdörffer kurzfristig in die Startelf beordert, weil Bakery Jatta zu spät zur Mannschaftsbesprechung gekommen war. »Wenn einer zu spät kommt, und das auch noch am Spieltag, weiß er, was die Konsequenz daraus ist«, sagte der 47-Jährige. Der Abstand des HSV auf Rang drei schmolz auf zwei Zähler, weil der 1. FC Heidenheim am Sonntag durch einen Treffer von Stefan Schimmer mit 1:0 (0:0) in Bielefeld gewann.
Unterdessen hat Dieter Hecking bei seiner unerwarteten Rückkehr auf den Trainerstuhl gewonnen. Der Sportvorstand und neue Coach des 1. FC Nürnberg gewann mit seinem Team beim Debütantenduell mit Trainer Tomas Oral und Schlusslicht SV Sandhausen schmeichelhaft mit 1:0 (0:0).
Viel hätte nicht gefehlt, und Eintracht Frankfurt wäre am Samstag im Sachsenland böse unter die Räder gekommen und schon aussichtslos in Rückstand geraten, ehe alle Zuschauenden ihren Platz eingenommen und die Stadionwurst angeknabbert hätten. In der Anfangsphase der Bundesligapartie in Leipzig lagen die Hessen nämlich im Kollektiv in einer Art komatösem Tiefschlaf, weshalb es zu nahezu absurden Szenen in ihrem Strafraum kam. Nicht mal 120 Sekunden nach dem Anpfiff kam RB-Verteidiger Marcel Halstenberg freistehend zum Schuss, verzog aber deutlich. Nach fünf Minuten schlenzte Emil Forsberg, ebenfalls alleine vor dem Eintracht-Kasten, den Ball am Pfosten vorbei, und noch mal eine Minute später war es dann Timo Werner, der einen grotesken Stockfehler des formlosen Tuta ausnutzte und die Kugel ins Frankfurter Netz stolperte. 1:0 für RB. Nur 1:0, nach sechs Minuten. Hätte auch 3:0 stehen können oder müssen. Sieht man auch nicht alle Tage in der deutschen Fußball-Premiumklasse, zumal in einem Spitzenduell.
»Wir waren gar nicht da«, rekapitulierte Mittelfeldspieler Djibril Sow, der die Frankfurter Hoffnung auf ein Pünktchen mit seinem Anschlusstor zum 1:2 in der zweiten Halbzeit noch mal auflodern ließ (61), Emil Forsberg hatte noch vor der Pause den zweiten Treffer für die Sachsen beigesteuert (40.). »Wir haben die erste Halbzeit komplett verschlafen«, räumte Sow ein. Und deshalb auch kein Pünktchen verdient. Endstand nach 94 Minuten im Stadion des Brauseimperiums: 2:1 für RB. Leistungsgerecht.
Es war eine höchst ernüchternde und desillusionierende Woche für die Eintracht. Zwei empfindliche Niederlagen mussten die Hessen einstecken, wobei man nach dem Auftritt in Leipzig sicher konstatieren kann, dass die beiden Negativerlebnisse in einem Zusammenhang stehen. Denn diese 0:2-Schlappe unter der Woche in der Champions League gegen Neapel hat Spuren hinterlassen, sie hat Zweifel gesät und das Selbstvertrauen beeinträchtigt. Denn zu groß war die Chancenlosigkeit der Frankfurter am Dienstagabend, zu groß der Leistungsunterschied.
Trainer Oliver Glasner geht da nicht so ganz mit, ihm ist dieser Ansatz zu simpel. »Klar können wir Neapel als Ausrede hernehmen, dann haben wir eine Entschuldigung«, sagte er. Er sieht beide Partien quasi im Doppelpack, in der vergangenen Woche habe seine Truppe in zwei Spielen »einen Spiegel vorgehalten bekommen«, sagt Glasner. »Uns gelingt es derzeit nicht, über 90 Minuten unsere Topleistung abzurufen.«
Resetknopf in der Pause gedrückt
Genau die müsse man aber bringen, um gegen solche Großkaliber eine Chance haben zu wollen. Und wenn man dann noch, wie jetzt in Leipzig, so sorglos und uninspiriert in ein Spiel starte, »wird es halt schwierig, das ist dann zu wenig, dann reicht es nicht«. Glasner wird als verantwortlicher Cheftrainer aber nicht ruhen, »sondern die Ärmel hochkrempeln«. Ihn treibt dieser Leistungsabfall an. »In mir brodelt es.«
Dass seine Mannschaft auch auf diesem Niveau mithalten kann, wenn sie selbst an ihr Limit kommt, zeigte sie im zweiten Abschnitt. Dazu benötigte es aber eine Nachjustierung in der Halbzeitpause, in der Kabine wurde quasi der Resetknopf gedrückt. »Wir haben uns gesagt, dass wir unseren Fußball und unser Gesicht wieder auf den Platz bringen wollen«, erzählt Sow.
Das sah dann sehr viel besser aus, ausgeglichener, nicht mehr so einseitig. »Da hat man gesehen, was wirklich in der Mannschaft steckt«, betonte Sportvorstand Markus Krösche. »Darauf können wir aufbauen.« Zu mehr als Sows Anschlusstreffer langte es freilich nicht mehr, mehr wäre auch nicht verdient gewesen. Und spätestens mit dem Dreifachwechsel 20 Minuten vor Schluss, als RB-Coach Marco Rose noch mal hochqualifiziertes, frisches Personal (Schlager, Silva, Haidara) auf den Platz schickte, war die Messe gelesen.
Das spürten auch die Spieler selbst. »Gerade nach dem Dreifachwechsel sind wir hinten raus seltener in den Sechzehner gekommen«, stellte Kapitän Sebastian Rode fest, der nach seinem grippalen Infekt immer noch leicht angeschlagen ins Spiel gegangen war und 60 Minuten durchhielt. »Gegen einen Gegner dieser Qualität musst du brutal konsequent und mit Überzeugung anlaufen, um sie unter Druck zu setzen. Das haben wir vor der Pause nicht gut umgesetzt und auch viele 50:50-Bälle verloren.«
Die Eintracht muss sich nun schütteln und wieder zu sich finden. Am Sonntag in Wolfsburg, auf Rang sieben liegend, geht es darum, den internationalen Startplatz abzusichern - und nicht noch weiter abzurutschen. Knifflige Situation, so alles in allem.
