Die Sommer-Baustellen
Spätestens in 64 Tagen muss Joachim Löw die Antworten auf das WM-Desaster in Russland parat haben. Dann spielt der entthronte Weltmeister sein nächstes Länderspiel gegen Frankreich. Teammanager Bierhoff versichert: »Die Ursachenforschung beginnt ja schon.«
Viel Zeit hat Joachim Löw nicht. Nach der geklärten Zukunft als Bundestrainer muss der entthronte Weltmeister-Coach Antworten finden auf die drängenden Fragen, die ihm die krachend gescheiterte Mission Titelverteidigung in Russland eingebracht hat. Einen Plan oder genaue Themen verriet Löw noch nicht. Oliver Bierhoff deutete an, dass es auch mit Spielern der Fußball-Nationalmannschaft in den kommenden Wochen intensive Gespräche geben muss. »Die Ursachenforschung beginnt ja schon. Natürlich hat man schon während des Turniers gewisse Dinge beobachtet, auch direkt danach«, sagte der Teammanager.
Die Deadline ist klar. Wenn Deutschland am 6. September in München gegen Frankreich in die neue Nationenliga startet, soll der WM-Albtraum aufgearbeitet sein. Die wichtigsten Themenfelder für Löw:
Die Spieler: Ein Umbruch muss her, aber wie? Noch ist keiner der 23 WM-Akteure zurückgetreten. Nur Mario Gomez (32), Sami Khedira (31) und Kapitän Manuel Neuer (32) sind schon über 30. Mats Hummels (29), Jérôme Boateng (29), Thomas Müller (28), Toni Kroos (28) und Mesut Özil (29) sind alle noch jung genug für ein weiteres Turnier. Bis vor wenigen Wochen galten sie noch als unverzichtbar. Opfert Löw lange Weggefährten für ein Signal der Erneuerung? Die Generation Confed Cup um Julian Draxler (24), Leon Goretzka (23) und Marc-André ter Stegen (26) wird sicher mehr Verantwortung bekommen.
Das Özil/Gündogan-Problem: Löw hat zu gesellschaftlichen Themen eine Meinung und scheut sich nicht, sie zu äußern. Multikulturalität ist ihm wichtig. Seine Aussagen zu der Affäre von Özil und Ilkay Gündogan um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayipp Erdogan wirkten da bislang eher schwammig. Gut möglich, dass er sich nun deutlicher hinter das hart attackierte Duo stellt – auch gegen Widerstände der Fans und aus dem DFB.
Der Trainerstab: Die Aufgabenteilung um Löw ist klar. Andreas Köpke kümmert sich seit Jahren um die Torhüter. Marcus Sorg rückte in die Rolle des Taktikanalytikers und löste gefühlt Thomas Schneider als wichtigsten Assistenten ab. Für eineinhalb Jahre schnupperte auch Miroslav Klose als Sturmtrainer-Azubi rein, geht aber nun als Jugendcoach zum FC Bayern. Als graue Eminenz gilt Chefscout Urs Siegenthaler. Personelle Veränderungen in diesem Gebilde sind nicht ausgeschlossen. Gerade gegen Mexiko wurden taktische Defizite nicht behoben. Löw kann einen Einflüsterer an der Linie gut gebrauchen.
Der DFB-Apparat: Öffentlich sichtbar wurde die Entourage durch die Rüpel-Aktion von zwei Mitarbeitern nach dem Schweden-Spiel an der Seitenlinie. Für einen perfekten logistischen Ablauf hat Bierhoff einen riesigen Stab um das Nationalteam gebildet. Schon vor dem WM-Triumph 2014 wurde die »Wohlfühl-Oase« zum geflügelten Wort – Bierhoff missbilligte diese Sichtweise. Nun stehen auch die Abläufe beim Team hinter dem Team auf dem Prüfstand.
Die Nähe zu den Fans: Entfremdung ist das Schlagwort nach dem WM-K.-o. Die Frage nach der Nähe der Glitzer-Profis zu ihren Fans müssen sich Löw wie Bierhoff gefallen lassen. Geheimtraining, Abschottung in Nobelhotels und teure Tickets – diese Tendenzen wurden schon vor der WM diskutiert. Auch der Umgang mit den Medien, die bei der finalen Kadernominierung keine Fragen stellen durften, ist ein sensibles Thema. »Die WM bringt natürlich auch Themen mit sich, die wir angehen müssen, die wir diskutieren müssen. Viele Dinge werden aus dem Zusammenhang gerissen. Da wird auch von Entfremdung gesprochen. Wir haben gesehen, dass wir vor dem Turnier hohe Einschaltquoten beim Fernsehen haben, wir haben großes Interesse«, meint Bierhoff.
Das eigene Selbstverständnis: Joachim Löw kann tun und lassen, was er will. Diese These hatte getrieben durch das Hochgefühl des WM-Sieges ihre Berechtigung. Ein Regulativ hatte der Bundestrainer innerhalb des DFB scheinbar nicht. Der Bonvivant aus Freiburg setzte selbst die Kriterien für seine Arbeitsabläufe. Das ging gut, solange der Erfolg da war. Im Misserfolg wurden TV-Werbespots oder Fotos an einer Laterne in Sotschi zum Problem.