Silber glänzt wie Gold

(sid/dpa). Eine weitere Medaille für die Ukraine durch Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich und ein überraschender Einbruch des Weltrekordhalters über 400 Meter Hürden - das war der fünfte Wettkampftag bei der Leichtathletik-WM in Eugene in den USA.
No (r) way: Binnen 20 Minuten stürzten zwei norwegische Olympiasieger. Superstar Karsten Warholm brach im Finale über 400 m Hürden auf den letzten Metern brutal ein und wurde nur Siebter. Der Weltrekordler (45,94 Sekunden) schleppte allerdings reichlich Verletzungssorgen durch den Sommer. »Ich habe mit allem gekämpft, was ich hatte«, sagte Warholm. Die spektakuläre Olympia-Revanche gewann der Tokio-Dritte Alison dos Santos (46,29) vor dem -Zweiten Rai Benjamin (USA/46,89). Kurz zuvor hatte sich über 1500 m Jakob Ingebrigtsen in einem wahnsinnig schnellen Rennen in 3:29,47 Minuten mit Silber hinter dem Briten Jake Wightman (3:29,23) begnügen müssen.
Seb - Steve - Jake: Wightman setzte damit die große britische Tradition über diese Strecke fort. Weltverbands-Präsident Sebastian Coe, der begeistert applaudierte, hatte 1980 und 1984 Olympia-Gold über die »Nicht-Ganz-Meile« gewonnen - und 39 Jahre vor Wightman wurde Steve Cram in Helsinki erster 1500-m-Weltmeister der Geschichte.
Halbes Märchen: Es wäre eine ganz, ganz wunderbare Geschichte gewesen. Nämlich: Wenn die erst 20 Jahre alte Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich das erste Gold für die Ukraine geholt hätte. Ausgerechnet in der Domäne Russlands, dessen Springerinnen seit 2011 jedes Mal vorne lagen - zuletzt dopingbedingt unter neutraler Flagge. Nun fehlten sie nach dem unsäglichen Überfall Russlands auf die Ukraine komplett, und Mahutschich holte als Topfavoritin in einem Herzschlagfinale mit 2,02 m höhengleich hinter der Australierin Eleanor Patterson Silber. »Für mich ist das Gold«, sagte Mahutschich nach einer mentalen Meisterleistung in so schwierigen Zeiten. Mit den Gedanken war und ist sie auch in der Heimat: »Wir werden für unsere Unabhängigkeit und unser Land kämpfen. Und natürlich werden wir am Ende auch gewinnen.«
Zu hohe Hürde: Die Serie der deutschen Enttäuschen in Eugene setzte sich mit Carolina Krafzik über 400 m Hürden fort. Die Olympia-Halbfinalistin scheiterte bereits im Vorlauf, was auch aus Trainingsrückstand resultierte. Neben Krafzik war am Dienstag aus dem deutschen Team nur Jessica-Bianca Wessolly im 200-m-Halbfinale am Start, stand aber gegen die Stars der Branche wie 100-m-Siegerin Shelly-Ann Fraser Pryce auf verlorenem Posten. Immerhin: Wessolly erfüllte die WM-Erwartungen - im Gegensatz zu vielen anderen im Team des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
Nicht zufrieden: Ein zehnter Platz für Stabhochspringerin Jacqueline Otchere als Top-Ergebnis - die deutsche Halbzeitbilanz in Eugene fällt ernüchternd aus. »Wir sind unter unseren Erwartungen geblieben«, sagte Chefbundestrainerin Annett Stein. Schlimmer noch: Die Weltmeisterschaften sind offensichtlich für viele Athleten nur Beiwerk im Vorfeld der Heim-Europameisterschaften in München. »Wahrscheinlich ist es nicht gelungen, diese WM in den Fokus der meisten Athleten zu setzen«, sagte Stein. Dass dennoch rund 80 Athleten und Athletinnen nach Eugene reisten, ist wohl vor allem der Sportförderung geschuldet. Der DLV werde auch danach bewertet, wie viele WM-Teilnehmer er an den Start bringe, sagte Stein: »Deshalb probieren wir auch, jeden zu einem solchen Wettkampf mitzunehmen.« Eine Sichtweise, die gesteigertes Unverständnis hervorrief.
Kein Glanz mehr im Ring: Deutschlands Diskuswerfer waren viele Jahre lang der Marktführer. Bei 13 Weltmeisterschaften zwischen 1987 und 2013 ging Gold neunmal an deutsche Werfer - Lars Riedel gewann fünfmal, Robert Harting dreimal, DDR-Werfer Jürgen Schult einmal. Vom alten Glanz war in Eugene nichts zu spüren: Keiner der drei deutscher Starter hatte die Qualifikation überstanden, das Finale bestimmten Riesen anderer Länder: Der Slowene Kristjan Ceh siegte souverän mit 71,13 m vor einem Litauer namens Alekna. Alekna? Jawohl: Mykolas, 19 Jahre alter Sohn der litauischen Diskus-Legende Virgilijus Alekna. Der, um den Kreis doppelt zu schließen, war einst Riedel-Widersacher - und vor Ceh einziger 70-Meter-Werfer der WM-Geschichte.