Schattenseite des Fan-Booms

(sid). Sexismus, Rassismus, Homophobie - für Sebastian Vettel kann das nur eine Konsequenz haben: Formel-1-Verbot. »Wer auch immer diese Leute sind, sie sollten sich schämen und auf Lebenszeit von Rennveranstaltungen ausgeschlossen werden«, sagte der Ex-Weltmeister über die Auswüchse auf den Rängen und Campingplätzen.
»Nulltoleranz« lautet die Forderung des Heppenheimers, der im Cockpit freilich nur die positiven Seiten des Zuschauerbooms wahrnahm. 303 000 Besucher am Rennwochenende verwandelten den Red-Bull-Ring in eine Formel-1-Partyzone. Mit allem, was dazugehört: Stimmungsmusik, Bengalos, Grillwurst, reichlich Alkohol. Die Schattenseite trat in den sozialen Medien zutage. Zahlreiche Frauen berichteten von Belästigungen und von wahrem Spießrutenläufen auf den überwiegend von Männern besetzten Tribünen. Ein Mädchen, das Eis verkaufte, sei pausenlos von älteren betrunkenen Männern belästigt worden, hieß beispielsweise bei Twitter. Auch Homophobie und Rassismus seien ein großes Problem. Diese Erfahrungen erstreckten sich demnach auch auf die riesigen Areale rund um die Strecke und hätten schon in den vergangenen Jahren in Spielberg zum Alltag gehört.
Vettel gab an, es sei »in Ordnung«, sich zu amüsieren und vielleicht auch einen über den Durst zu trinken, doch dies sei »keine Rechtfertigung oder Entschuldigung« für ein solches Verhalten. Die Formel 1 sah sich gezwungen, vor dem Großen Preis von Österreich am Sonntagnachmittag in einem Statement die Auswüchse zu verurteilen. »Wir nehmen das sehr ernst«, hieß es, »ein solches Verhalten wird nicht toleriert, alle Fans sollten respektvoll behandelt werden.« Die Rennserie ergriff Ad-hoc-Maßnahmen, deren Wirksamkeit kaum nachzuprüfen ist. Am Sonntag wurden auf den Leinwänden Botschaften eingeblendet, in denen die Fans aufgefordert wurden, sich anständig zu verhalten.
Rekordweltmeister Lewis Hamilton zeigte sich »angewidert« und »enttäuscht«. Der Formel-1-Slogan »We Race As One« sei »gut und schön«, er werde aber nicht ausreichend mit Leben gefüllt. »Es hat nicht wirklich etwas bewirkt«, sagte der erfolgreichste Fahrer der Formel-1-Geschichte, der wegen seiner Hautfarbe mit Diskriminierungen aufgewachsen ist. »Diese Dinge sollten nicht passieren«, sagte Weltmeister Max Verstappen. Das Gros der Zuschauer war seinetwegen gekommen, hüllte die Bergkulisse in orange Rauchschwaden und feierte kräftig. Mit dem Finger auf die »Orange Army« zu zeigen, wäre allzu einfach - und arg verallgemeinernd.
Der niederländische »Telegraaf« versuchte sich in differenzierter Kritik. »Einige« der angeblich rund 60 000 Verstappen-Fans hätten »mit infantilem Verhalten dem Namen der orangen Menge einen Bärendienst erwiesen«, urteilte das Blatt.
Die geschilderten Probleme und No-Gos hat das Rennen in Spielberg übrigens keineswegs exklusiv. Nur wurden sie bislang nicht so klar angesprochen wie am vergangenen Wochenende. Der Boom der Formel 1 ist nicht frei von Schatten.