Liga-Rückzug oder Star-Abschied?

(dpa). Wie groß der Streit zwischen der Tischtennis-Bundesliga (TTBL) und ihrem aktuell schillerndsten Produkt ist, konnte am Montagabend jeder nachlesen. Da schrieb der frühere Weltranglistenerste Dimitrij Ovtcharov in den sozialen Medien: »Leider ist es mehr als fraglich, ob ich in der TTBL weitermachen kann.« Der bekannteste Spieler des deutschen Pokalsiegers TTC Neu-Ulm drohte mit seinem Weggang und warf der Liga auch noch fehlende Unabhängigkeit vor.
Schließlich sei der Manager des größten Rivalen Borussia Düsseldorf gleichzeitig der Aufsichtsrats-Chef des Ligaverbandes. Der damit gemeinte Andreas Preuß wies das entschieden zurück.
Ovtcharov spielt seit 2022 für Neu-Ulm. Und auch wenn der Olympia-Dritte seinen Post am späten Abend wieder löschte, ist in dieser komplizierten Auseinandersetzung alles möglich: Dass das vielleicht bestbesetzte Team der Bundesliga-Geschichte an diesem Donnerstag seinen Rückzug aus der höchsten deutschen Spielklasse erklärt. Oder dass die Neu-Ulmer nach einem Jahr ihre Topstars wieder verlieren, von denen bereits zwei im Januar unerlaubt für andere Clubs im Ausland spielten. In jedem Fall geht es bald vor ein Schiedsgericht, das der 257-malige Handball-Nationaltorwart Andreas Thiel leitet.
Seinen Ursprung hat dieser Streit in einem Transfercoup, den der TTC Neu-Ulm am Karfreitag 2022 verkündete. Der Club verpflichtete auf einen Schlag vier der besten zehn Spieler der aktuellen Weltrangliste: neben dem deutschen Nationalspieler Ovtcharov noch den Vizeweltmeister Truls Moregardh (Schweden), den Weltranglisten-Vierten Tomokazu Harimoto (Japan) und den Taiwaner Lin Yun-ju. Der Plan war von Anfang an, dass die vier Stars in der attraktiven Champions League und im deutschen Pokal-Wettbewerb spielen, dessen Finalturnier jedes Jahr im Januar in Neu-Ulm ausgetragen wird. In der Bundesliga setzt der Club vor allem drei junge russische Nationalspieler ein, die schon seit Jahren in Deutschland leben.
Bundesliga ist für TTC unattraktiv
Bis vor Kurzem ging dieser Plan auch auf: Neu-Ulm gewann in eigener Halle das Pokalfinale gegen Düsseldorf und verlor in der Champions League am Sonntag erst in der Verlängerung des Halbfinal-Rückspiels gegen den deutschen Rekordmeister. Ende Januar passierte dann allerdings, was nach den Verträgen und Wechselfristen der TTBL nicht hätte passieren dürfen: Moregardh und Lin spielten für andere Clubs in der schwedischen und japanischen Liga, obwohl sie noch in der Bundesliga gemeldet sind. Und die Liga verhängte gegen beide je eine Geldstrafe von 10 000 Euro und eine Sperre von zehn Spielen - gültig allerdings erst in der nächsten Saison. Genau darum geht es jetzt in dem Streit: um den Zeitpunkt der Strafe. »Den Verstoß geben wir eindeutig zu«, sagte der Neu-Ulmer Präsident Florian Ebner. »Aber dass die Sperre erst in der nächsten Saison gelten soll, das leuchtet mir nicht ein.«
Die Liga-Vertreter halten dagegen und weisen auch Ovtcharovs Kritik scharf zurück. Moregardh und Lin hätten im Januar problemlos den Verein wechseln können - allerdings nur bis zum 1. Januar und damit vor dem Pokalfinale. Erst später zu gehen und dadurch das Pokalfinale noch mitzunehmen, verstoße »gegen ihre vertraglichen Zusagen und die Regeln der TTBL«, sagte Geschäftsführer Nico Stehle am Dienstag. Und diese Regeln »schützen die Integrität unseres Wettbewerbes und sind nicht willkürlich zu beugen oder gar zu brechen«. Den Neu-Ulmern wirft Stehle »anhaltende und durchschaubare Versuche einer Umkehr des Verursacher-Prinzips« vor.
Das Problem für die Liga ist nun: Kommt sie mit ihrem Strafmaß auch vor dem eigenen Schiedsgericht durch? Die Lizenzverträge der TTBL sehen für einen derart schwerwiegenden Verstoß eigentlich einen sofortigen Lizenzentzug und keine Spielsperre vor. Genau das war ja offenbar das Kalkül des Clubs: Dass Moregardh und Lin maximal für den Rest einer Saison ausgeschlossen werden, in der man sie ohnehin nicht mehr braucht. Dass die sehr lange Sperre erst in der nächsten Saison gelten soll, stellt wiederum den TTC Neu-Ulm vor ein großes Problem. Denn beim Pokalfinale 2024 könnten Moregardh und Lin nicht eingesetzt werden. »Und die Spieler sagen natürlich: Wenn ich nicht davon ausgehen kann, dass ich hier auch spiele, dann muss ich halt woanders spielen«, erklärte Ebner.
»In der Champions League wollen wir unbedingt weiterspielen«, sagte Ebner. Und in der Bundesliga? »Das ist offen«, bestätigte der Vereinsboss. Die Bundesliga ist für Stars wie Ovtcharov oder Moregardh nicht mehr attraktiv, weil die vielen Spieltermine mit internationalen Turnieren kollidieren. »Und auf Dauer können wir nicht mit zwei verschiedenen Teams in einer Saison spielen«, sagte Ebner.