Krimi mit Happy End

Sprint-Weltmeisterin Herrmann-Wick ist im letzten WM-Rennen der WM in Oberhof chancenlos, dennoch eine Gewinnerin. Die Männer erleben ein historisches Debakel. Und Oberhof wird zu »Boeberhof«.
(sid). So sehr sich Lena Dürr auch wehrte, immer wieder kamen ihr die Tränen. »Jetzt muss ich weinen«, sagte sie, als sie einordnen sollte, was ihr die Bronzemedaille im WM-Slalom bedeutet. Später hielt sie sich die Hände vors Gesicht, um zu verbergen, wie sehr es sie bewegte, am Ziel ihrer langen Reise angekommen zu sein. Erst als ihr die Medaille um den Hals hing und sie die brettartige Trophäe in Händen hielt, hatte sich Dürr gefangen.
Auch bei Linus Straßer flossen Tränen - allerdings aus herber Enttäuschung. In einem mitreißenden Slalom verspielte der Münchner im zweiten Lauf, den noch dazu sein Trainer Bernd Brunner ausgeflaggt hatte, alle Chancen auf Gold, Silber oder Bronze. Damit blieben den Deutschen Gold für Alexander Schmid im Parallel-Rennen und eben Bronze für Dürr, was Alpinchef Wolfgang Maier dennoch als »eine Übererfüllung des Solls« wertete.
Für den bedienten Straßer blieb Rang neun. »Es gibt schönere Tage, ich habe mir mehr erhofft«, sagte er geknickt. Dafür fuhr sein Teamkollege Sebastian Holzmann das Rennen seines Lebens: Der Oberstdorfer belegte Rang fünf, nur 0,24 Sekunden war er vom Podest entfernt. Dort standen: Henrik Kristoffersen (Norwegen), der von Platz 16 zu Gold fuhr, Alex Vinatzer aus Südtirol als Dritter - und AJ Ginnis, der Sensationszweite aus Griechenland.
Dürr war derweil mit sich und der Welt endlich im Reinen. »Man darf nie aufgeben«, betonte die 31 Jahre alte Münchnerin an ihrem Glückstag mehrmals: »Es kommt immer irgendwie zurück.« Es gab freilich Tage, an denen Dürr alles hätte hinwerfen können. Ihr Weltcupsieg 2013 beim Parallel-Rennen in Moskau war nicht der erhoffte Urknall, im Verband hatten sie die Hoffnung aufgegeben: 2019 verlor sie zeitweise ihren Kaderstatus. »Ich habe viele Umwege genommen«, sagte sie.
Auch die Medaille fiel Dürr nicht einfach so zu: Sie durchlebte einen Krimi zum Nägelkauen. Als Vierte nach dem ersten Lauf war sie im Finale in Führung gegangen - um 0,02 Sekunden. »Scheiße, wieder nur Vierte«, dachte Alpinchef Maier, denn: Drei kamen ja noch. Prompt schoss die kanadische Sensationssiegerin Laurence St-Germain an Dürr vorbei. Dann die Wendung: Wendy Holdener (Schweiz) fädelte ein. Mikaela Shiffrin (USA) rettete so eben Silber, ihre 14. WM-Medaille.
Ein Deja-vu wie im Vorjahr bei Olympia, als sie im Finale von Rang eins auf Rang vier zurückfiel und 0,07 Sekunden hinter dem Podest landete, blieb Dürr erspart. »Wahrscheinlich ist das der Tag«, sagte sie lächelnd, »wo ich meine Hundertstel von Olympia zurückbekomme.« Maier gab zu, »ein bisschen geflasht« zu sein, weil sich alles noch zum Guten gewendet hatte. »Manchmal ist der Liebe Gott doch ein deutscher Skifahrer«, sagte er. Manchmal aber auch nicht - siehe Straßer.
Maier vergaß nicht, Dürr für ihre Entwicklung seit Sommer 2019 zu loben, betonte aber erneut, er werde sich nicht hinstellen und sagen: Ich hab's gewusst. Denn: »Ich hab's eben nicht gewusst.« Im Gegensatz zu Dürr aber behauptete er, besagte Monate seien der Wendepunkt ihrer Karriere gewesen.
Am Ende war der Akku von Denise Herrmann-Wick leer, für mehr als einen kurzen Gruß an die 23 500 Biathlon-Fans reichte es bei ihrem wohl letzten ganz großen WM-Auftritt nicht. Dennoch zählte die 34-Jährige mit einmal Gold und zweimal Silber zu den Stars der Heim-Titelkämpfe von Oberhof. Daran änderten auch fünf Fehler und Platz 24 im abschließenden Massenstart am Sonntag beim Sieg der Schwedin Hanna Öberg nichts.
»Wenn mir das vorher jemand gesagt hätte, hätte ich natürlich direkt unterschrieben. Das ist ein einmaliges Erlebnis bei der Heim-WM - und das bleibt auch«, sagte die Sprint-Weltmeisterin, die zum Ende muskulär »total angeknockt« war: »Das trübt die WM nicht.«
Vor allem Rang zwei in der Staffel mit den WM-Debütantinnen Vanessa Voigt, Sophia Schneider und Hanna Kebinger tags zuvor rief bei der Olympiasiegerin große Emotionen hervor. »Das ist eine Medaille für ganz Biathlon-Deutschland«, sagte Herrmann-Wick, für die das Heimspiel am Rennsteig der krönende Abschluss ihrer Karriere gewesen sein könnte.
Derweil erlebten die Männer einen historischen Tiefpunkt: Sie blieben erstmals seit 1976 in WM-Rennen ohne Medaille. Bester im Massenstart war Justus Strelow als 13., in der Staffel hatte es in einer Windlotterie nur zu Platz fünf gereicht.
Norwegens Superstar Johannes Thingnes Bö holte derweil als erster männlicher Biathlet sieben Medaillen in sieben Rennen - am Ende waren es insgesamt fünf Titel, einmal Silber und einmal Bronze. Dafür bekam er von den Organisatoren ein Ortsschild mit der Aufschrift »Boeberhof« geschenkt. Sinnbild für die deutsche Tristesse war Routinier Benedikt Doll, der nach Platz 26 im Massenstart völlig niedergeschlagen die Siegerehrung des neuen Weltmeisters Sebastian Samuelsson aus Schweden verfolgte. »Es waren sehr viele Tiefs dabei, wenige Hochs«, sagte der 32-Jährige.
Ohne Herrmann-Wick wäre aber auch die Bilanz der Frauen ernüchternd gewesen. »Mir wird nicht angst und bange, aber wenn man Denise dieses Jahr wegnehmen würde, würde es nicht ganz so rosig ausschauen«, sagte die zweimalige Olympiasiegerin Laura Dahlmeier. Herrmann-Wick hatte bisher im Weltcup mit zwei Siegen und einem dritten Platz für die einzigen Einzel-Podestplätze gesorgt. Das WM-Fazit sei dennoch »sehr gut«, sagte Dahlmeier: »Diese Staffel-Medaille schweißt zusammen und kann dafür sorgen, sich gegenseitig zu pushen und zu motivieren.«
Vor allem die WM-Debütantinnen Schneider (25) mit den Rängen fünf in der Verfolgung und sieben im Sprint sowie die zu Saisonbeginn noch im unterklassigen Deutschland-Pokal gestartete Kebinger (25) als Verfolgungsachte und Zwölfte im Massenstart hielten dem Druck stand. Voigt (25) und Janina Hettich-Walz (26) spielen in den Zukunftsplanungen ebenfalls eine Rolle. Die Erfahrungen der Heim-WM sollen die Youngster beflügeln. »Das ist nicht nur eine Erfahrung für eine WM, sondern richtig viel, was man mitnehmen kann. Das zahlt sich definitiv die nächsten Jahre aus«, sagte Herrmann-Wick, zudem noch mit WM-Silber in der Verfolgung dekoriert. Auch Damen-Coach Kristian Mehringer sieht die Zukunft der Biathlon-Frauen positiv: »Wir sind sehr gut aufgestellt.«
»Es ist enttäuschend. Aber ich muss klar sagen, dass wir nicht so schlecht sind, wie jetzt null Medaillen aussehen«, sagte Sportdirektor Felix Bitterling über das auf dem Papier schwache Abschneiden der Männer: »Wir müssen die Schlüsse daraus ziehen, damit wir gestärkt zurückkommen.« Lediglich fünf Top-Ten-Plätze fuhren die Schützlinge von Bundestrainer Mark Kirchner ein, das beste Ergebnis war Rang fünf von Doll im Einzel zum Auftakt.
(sid). Als Andreas Wellinger seine teuflisch guten Flüge in Transsilvanien genoss, brach plötzlich die Musik ab. Mitten in der Nationalhymne versagte die Technik, doch der Bayer nahm es mit Humor. Schließlich lief bei der WM-Generalprobe im rumänischen Rasnov ansonsten alles nach Plan für den 27-Jährigen, der seinen zweiten Sieg binnen einer Woche feierte und als Anwärter auf Skisprung-Gold nach Planica reist.
Sogar Wellinger gesteht seine Favoritenrolle inzwischen ein. Am liebsten wolle er schon am Samstag bei der WM »wieder gemeinsam mit Karl zur Siegerehrung« gehen - dann freilich mit kompletter Hymne.
Jener Karl Geiger landete am Samstag im letzten Einzel-Wettkampf vor der WM auf Rang drei, Seite an Seite gewannen beide dann am Sonntag überlegen den Super-Team-Wettkampf. Für Wellinger steht daher fest: »Wenn wir unsere Sprünge zeigen, müssen sich die anderen lang machen.«
Erst eine Woche zuvor hatte Wellinger in Lake Placid seinen ersten Sieg seit fast sechs Jahren gefeiert.
(dpa). Die deutschen Piloten Johannes Lochner und Laura Nolte sind erstmals Sieger in den Zweierbob-Gesamtweltcups. Weltmeister Lochner gewann auch am Sonntag zusammen mit Georg Fleischhauer im lettischen Sigulda, nachdem er bereits am Samstag mit seinem Erfolg den Grundstein für den Gesamtsieg bei den Männern gelegt hatte. Olympiasiegerin Nolte schaffte auf der von ihr ungeliebten Bahn zwei Bestzeiten und distanzierte damit ihre größte Rivalin Kim Kalicki. Diese wurde im Bob mit Anabel Galander Zweite.
Damit gingen drei von vier Trophäen für den Gesamtweltcup im Bob an deutsche Piloten. Die Gießener Adam und Issam Ammour belegten bei ihrem Weltcup-Debüt als Brüder-Paar den überzeugenden vierten Platz.
