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Keine Atempause

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Von: Redaktion

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Die Eintracht-Spieler um (v. r.) Kevin Trapp, Timothy Chandler und Torschütze Goncalo Paciencia danken den mitgereisten Fans nach dem 1:0-Sieg in Antwerpen. © DPA Deutsche Presseagentur

Den ersten Pflichtspielsieg in der Tasche, hat die Frankfurter Eintracht am Sonntag beim Rekordmeister FC Bayern anzutreten. Ob es da was zu holen gibt für die Hessen?

Ganz am Ende des ruppigen Schlagabtauschs in der Europa League durfte sogar der in Ungnade gefallene Tuta mithelfen, den so lange herbeigesehnten Dreier für Frankfurt über die Zeit zu retten. Der brasilianische Eintracht-Verteidiger kam in der Nachspielzeit in die zerfahrene und turbulente Europa-League-Partie beim FC Royal Antwerpen, auf ungeliebter Position im defensiven Mittelfeld auch noch. Die Belgier schmissen in aller Verzweiflung alles nach vorne, um aus dem 0:1 noch ein 1:1 zu machen, doch die Frankfurter stemmten sich mannhaft gegen den Ausgleich, der mehr als nur ein Nackenschlag gewesen wäre.

Und auch der 22-jährige Tuta warf sich mit allem, was er hatte, in die Bälle und die Kontrahenten, und in der Nachlese heimste er sogar ein Sonderlob seines Trainers ein, der ihn in den Wochen zuvor ins Abseits postiert hatte. »Tuta war hellwach, hat auf der ungewohnten Position vor der Abwehr dreimal den zweiten Ball geklärt«, befand Oliver Glasner. »Das war ganz, ganz wichtig. Das habe ich ihm auch gesagt.« Die verbale Streicheleinheit war keine Willkür, sondern bewusst gesetzt.

Nach dem 1:0-Erfolg in der Diamantenstadt, das der Eintracht gute Chancen auf ein Überwintern auf internationalem Parkett bietet, war Glasner auffällig darum bemüht, den Sieg als einen des Kollektivs, der gesamten Mannschaft von A bis Z und von Spieler eins bis 21 zu deklarieren. »Super Jungs, super Truppe«, befand der 47-Jährige daher und hob gerade die hervor, die zuletzt eher Statisten waren oder gar keine Rolle spielten.

Eben Tuta, seit dem missglückten Auftritt im DFB-Pokal in Mannheim außen vor, oder auch den Siegtorschützen Goncalo Paciencia, Einwechselspieler und Elfer-Zieher Jesper Lindström, Rückkehrer Almamy Touré oder Altmeister Makoto Hasebe. Gerade Hasebe bot eine exzellente Darbietung, die der Trainer völlig zu Recht als »grandios« beschrieb. Ein Rätsel, weshalb der Japaner so lange auf der Bank saß. »Jeder Spieler«, betonte Glasner also im Sinne des Gemeinwohls und zur Stärkung des Wir-Gefühls, »hat unser volles Vertrauen, und jeder Spieler hat dieses Vertrauen gerechtfertigt.« Er fühle sich daher »super bestätigt«.

Auch Timothy Chandler hob diesen Teamspirit hervor. »Man hat gesehen, wie wichtig jeder einzelne Spieler ist«, führte das Urgestein aus und nannte exemplarisch seinen guten Kumpel Goncalo Paciencia. »Er hat lange nicht gespielt, kommt rein und schießt den Elfmeter. Da sieht man, dass wir jeden Spieler brauchen.« Das Gefüge stimmt bei der Eintracht, die Mentalität und der Behauptungswillen ebenso, das war aber schon in den zurückliegenden Wochen auszumachen.

Woran es nach wie vor krankt, ist die spielerische Linie - daran ändert der vermeintliche Befreiungsschlag in Flandern nichts, dem ersten Sieg im neunten Anlauf. Zumal ja niemand weiß, ob dieser kurzzeitige Brustlöser wirklich die Erlösung war. Natürlich ist es von enormer Bedeutung, endlich diese nervende Serie von Unentschieden beendet und ein positives Erlebnis gehabt zu haben. Gerade in psychologischer Hinsicht. Denn: Zu viele Misserfolge lassen die Selbstzweifel in dem Maße wachsen wie das Selbstvertrauen sinkt - umgekehrt gilt das ebenso. Doch am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) geht es ausgerechnet zur Übermannschaft FC Bayern München, da hagelte es in den vergangenen Jahren nicht nur Pleiten, sondern auch Gegentore en masse. 0:5, 2:5, 1:5 lauteten die vergangenen Resultate in der Liga. Den letzten Punkt gab’s vor 14 Jahren, den letzten Sieg vor mehr als zwei Jahrzehnten. »Wir machen aber keinen Sonntagsausflug, wir fahren da hin, um zu gewinnen. Das sage ich aus voller Überzeugung und das will ich in den Augen der Spieler sehen«, bekundete Glasner. Gleichwohl: »In diesem Spiel ist die Erwartungshaltung so gering wie im ganzen Jahr nicht.«

Für die Eintracht geht es darum, nicht unter die Räder zu kommen. Denn dann wäre das zarte Pflänzchen schon wieder eingeknickt und das mühsam erkämpfte Selbstvertrauen geschrumpft. Zumal die Bundesliga danach pausiert und die Nationalspieler sich über den Erdball verteilen.

»Wir haben nächste Woche sieben Spieler im Training«, sagte Glasner. Das ist denkbar schlecht, um weiter an den Automatismen und Feinheiten zu arbeiten. Das wäre freilich dringend geboten. Außer große Kampfeslust, Laufstärke und gutem Pressing haben die Frankfurter nämlich wenig zu bieten. Spielerisch ist das Dargebotene arg dünn, die Ballverluste und Abspielfehler sind exorbitant. Auch gegen Antwerpen haben sie sich keine nennenswerten Chancen herausspielen können. »Im letzten Drittel waren wir nicht gut«, monierte Kapitän Hasebe. »Es fehlt immer noch viel.«

Der Einsatz des 37-Jährigen in München steht auf der Kippe, »er spürt das Spiel«, sagte Glasner, weshalb er den Japaner umgehend in die neue Kältekammer im Proficamp schickte. Da wird es schön kalt, minus 100 Grad. Auch Martin Hinteregger ist fraglich, er klagt über Kreislaufprobleme.

Hasebe ist einer, der das Spiel diktieren kann, es wäre sogar eine Option, den Chefstrategen ins defensive Mittelfeld zu ziehen, um mehr Linie, Ruhe und Sicherheit ins hektische Spiel zu bekommen. Nicht gegen die Bayern, aber generell. Denn ob Dauerläufer Djibril Sow und Draufgänger Kristijan Jakic in dieser Kombination eine Dauerlösung sind, kann man durchaus auch hinterfragen.

Und es fällt auf: Gerade im Sturm ist die Eintracht nicht gut genug aufgestellt, weder Borré noch Sam Lammers können nachhaltig überzeugen, wobei bei Borré zumindest die Fantasie mitschwingt, dass das trotz geringer Körpergröße noch was werden könnte. Lammers indes wirkt merkwürdig spannungs- und kopflos, dribbelt manchmal einfach in drei Gegner hinein oder verhaspelt sich schon vorher. So reicht das nicht. Goncalo Paciencia ist gewiss nicht schlechter. Die Frage drängt sich generell auf, ob die Neuen gut genug sind, um den Ansprüchen in Frankfurt zu genügen.

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